Hier nachträglich ein Review vom 1.3.2008:
No Country for Old Men
Irgendwo in der Wüste. Ein paar Autos. Eine Menge Leichen. Ein Koffer voller Geld.
Aus dieser Ausgangslage komponieren die Coen-Brüder ihre oscarprämierte Ballade der Gewalt. Wie schon in Fargo ist das zentrale Objekt der Begierde ein Koffer voller Geld. Jeder will ihn und jeder ist bereit, dafür über Leichen zu gehen. Das Geld übersteigt alles, die Gier danach ist unberechenbar. Befanden wir uns in "Fargo" auf verschneiten Landstrassen, wird die Szenerie hier von weiten, trockenen Wüsten, leeren, staubigen Strassen und dunklen, einsamen Hotelzimmern beherrscht. In diesem abgelegenen Land treffen wir auf die folgenden drei Haupt-Charaktere:
Llewelyn Moss ist der Mann, der das Geld findet. Natürlich sieht er das als seine grosse Chance, gleichzeitig ist er sich aber mehr oder weniger bewusst, in welcher Gefahr er schwebt. Deshalb schickt er sogleich seine Frau zur Stiefmutter und macht sich selbst zu einer Flucht quer durch das Land auf. Josh Brolin, der hervorragende Bösewicht aus American Gangster, passt wie die Faust aufs Auge. Er spielt einen Mann, der glaubt, dass er keine Hilfe nötig hat, und schlussendlich unterschätzt, in welcher Lage er ist.
Tom Bell ist - wieder eine Parallele zu "Fargo" - der Polizist und die wohl vernünftigste Person der Geschichte. Alt-Mime Tommy Lee Jones spielt den gealterten Sheriff, der sich der ganzen Gewalt in diesem Land nicht mehr gewachsen fühlt und stets einen zynischen Spruch bereit hat, mit Bravour.
Chigurh (gesprochen wie "Sugar") schlussendlich ist der kaltblütige Killer mit seiner nicht ganz gewöhnlichen Waffe, dem stählernen Blick und den ebenso stählernen Prinzipien, der Moss verfolgt. Er ist nicht verrückt, er ist nicht einmal Mensch, nicht Tier; er ist ein Phantom. Der Todesengel. Der Unbesiegbare. Er selbst kann seiner Meinung nach gar nicht entscheiden, wen töten, es ist ganz einfach ein Fakt, wenn jemand sterben muss. Es reiner Zufall. Schicksal. Wenn er die Schuhe auszieht, lautlos von Tür zu Tür eines Hotels geht und die Leinwand bis zu den Ecken auszufüllen scheint, sind das die besten Momente des Filmes. Man muss nach Worten ringen, um zu beschreiben, wie astronomisch gut Javier Bardem den Killer verkörpert. Der Oscar ist absolut verdient.
No Country for Old Men bietet aber nicht nur einmalige Darstellerleistungen, sonder auch eine Harmonie von Drehbuch und Regie, die man als perfekt bezeichnen könnte. Beides wurde mit einem Oscar ausgezeichnet, aber man kann es kaum trennen. Das Drehbuch ist ein Paket aus zynischen Sprüchen, unverkennbaren Charakteren und einer vielschichtigen Handlung - alles so realistisch und ungewöhnlich wie es nur geht. Manchmal hat man bei Filmen - ich zumindest - dieses Gefühl, etwas zu sehen, dass einfach schon ausgelutscht ist. Dieses Gefühl liegt bei diesem Film weit entfernt, trotz jeglichen Parallelen zu "Fargo".
Die Regie ist ruhig und in keinster Weise Effekthascherei. Den ganzen Film lang ist kein einziger Ton eines Soundtracks zu hören. Hier wird der Zuschauer nicht mit spannenden, dramatischen oder tragischen Melodien an der Stange gehalten, das hier ist Filmkunst pur. Ohne Special Effects und sonstigen Mätzchen schafft der Film Bilder, die einfach fesseln. Manchmal ist er dermassen spannend, dass man beinahe glaubt, die Nerven würden einem reissen.
Die Coens entfesseln die Geschichte eines Mannes, der vor dem womöglich gefährlichsten Killer der Welt flieht, und heben dabei einen Satz hervor:
"You can't stop what's coming."
Diese Aussage zieht sich durch den ganzen Film und bezieht sich im speziellen auf den Killer, der beinahe den Sensemann höchstpersönlich zu verkörpern scheint.
Das zentrale Thema des Filmes ist tatsächlich die Gewalt. Schonungslos geht es zu und her, mit einer brachialen Wucht wurde das Ganze inszeniert, und dementsprechend ist dies garantiert kein Film für Leute, denen das etwas ausmacht. Aber wer die Coens kennt, sollte wissen, dass Brutalität bei ihnen nicht einfach ein plumpes Mittel ist, um Zuschauer anzulocken. Als gewaltverherrlichend kann man den Film nicht bezeichnen.
Wie es hier relativ deutlich sein sollte, habe ich nichts zu meckern - ausser über den Schluss. Ich frage mich ob es Zufall ist, dass ich dieses Jahr mit Eastern Promises, Cloverfield, There Will Be Blood und nun "No Country for Old Men" bisher praktisch nur Filme gesehen habe deren Schluss komplett gegen den Strich und gegen den Hollywood-Mainstream geht. Natürlich ist das oft auf diese Art positiv, aber nicht nur.
Hier hat es mich gestört. Selbstverständlich verrate ich nichts, aber lasst euch gesagt sein: Der Film endet nicht so, wie man es im Entferntesten erwartet. Mich hat der Schluss verwirrt. Zieht sich über den ganzen Film ein ordentlicher (untertrieben) Spannungsbogen, schien es mir fast, als hätte man da plötzlich mit einer Schere reingeschnitten. Wenn man ein wenig über die Aussage nachdenkt, die die Coens wahrscheinlich beabsichtigt haben, passt der Schluss eigentlich, aber das ändert nichts daran, dass ich ihn als unbefriedigend empfunden habe. Auf jeden Fall regt er zum nachdenken an, und ich hoffe, dass er nach mehrmaligem Sehen gewinnt. (wie es z.B. bei "The Departed" der Fall war) Die DVD werde ich mir nämlich kaufen.
Ausserdem wird in dem Film relativ viel ausgeklammert. Ein Mal sehen wir, wie Chigurh ein Haus verlässt und seine Schuhsohlen kontrolliert. Es braucht kein Wort, um uns klarzumachen, was geschehen ist. Ich rechne es dem Film hoch an, dass er dem Zuschauer zumutet, ab und zu selbst zu denken, und ihm offene Fragen mitgibt. Er bemüht sich nicht, alles logisch zu erklären und keine Zweideutigkeiten zuzulassen.
Aber eines ist klar: In diesem Amerika herrscht die Gewalt. Dieses Amerika ist kein Land für alte Leute.
Fazit: Mit ihrer Gewaltfabel stellen die Coen-Brüder einen Film auf die Beine, wie wohl nur sie es können - brutal, nervenzerreisend, zynisch, ruhig und unberechenbar. Wäre da nicht der befremdende Schluss, wäre "No Country for Old Men" wohl das ganz grosse Meisterwerk von 2008. Die Goldmännchen sind aber auf jeden Fall verdient.
ca. 9 von 10 Punkten
Chigurh (gesprochen wie "Sugar") schlussendlich ist der kaltblütige Killer mit seiner nicht ganz gewöhnlichen Waffe, dem stählernen Blick und den ebenso stählernen Prinzipien, der Moss verfolgt. Er ist nicht verrückt, er ist nicht einmal Mensch, nicht Tier; er ist ein Phantom. Der Todesengel. Der Unbesiegbare. Er selbst kann seiner Meinung nach gar nicht entscheiden, wen töten, es ist ganz einfach ein Fakt, wenn jemand sterben muss. Es reiner Zufall. Schicksal. Wenn er die Schuhe auszieht, lautlos von Tür zu Tür eines Hotels geht und die Leinwand bis zu den Ecken auszufüllen scheint, sind das die besten Momente des Filmes. Man muss nach Worten ringen, um zu beschreiben, wie astronomisch gut Javier Bardem den Killer verkörpert. Der Oscar ist absolut verdient.
No Country for Old Men bietet aber nicht nur einmalige Darstellerleistungen, sonder auch eine Harmonie von Drehbuch und Regie, die man als perfekt bezeichnen könnte. Beides wurde mit einem Oscar ausgezeichnet, aber man kann es kaum trennen. Das Drehbuch ist ein Paket aus zynischen Sprüchen, unverkennbaren Charakteren und einer vielschichtigen Handlung - alles so realistisch und ungewöhnlich wie es nur geht. Manchmal hat man bei Filmen - ich zumindest - dieses Gefühl, etwas zu sehen, dass einfach schon ausgelutscht ist. Dieses Gefühl liegt bei diesem Film weit entfernt, trotz jeglichen Parallelen zu "Fargo".
Die Regie ist ruhig und in keinster Weise Effekthascherei. Den ganzen Film lang ist kein einziger Ton eines Soundtracks zu hören. Hier wird der Zuschauer nicht mit spannenden, dramatischen oder tragischen Melodien an der Stange gehalten, das hier ist Filmkunst pur. Ohne Special Effects und sonstigen Mätzchen schafft der Film Bilder, die einfach fesseln. Manchmal ist er dermassen spannend, dass man beinahe glaubt, die Nerven würden einem reissen.
Die Coens entfesseln die Geschichte eines Mannes, der vor dem womöglich gefährlichsten Killer der Welt flieht, und heben dabei einen Satz hervor:
"You can't stop what's coming."
Diese Aussage zieht sich durch den ganzen Film und bezieht sich im speziellen auf den Killer, der beinahe den Sensemann höchstpersönlich zu verkörpern scheint.
Das zentrale Thema des Filmes ist tatsächlich die Gewalt. Schonungslos geht es zu und her, mit einer brachialen Wucht wurde das Ganze inszeniert, und dementsprechend ist dies garantiert kein Film für Leute, denen das etwas ausmacht. Aber wer die Coens kennt, sollte wissen, dass Brutalität bei ihnen nicht einfach ein plumpes Mittel ist, um Zuschauer anzulocken. Als gewaltverherrlichend kann man den Film nicht bezeichnen.
Wie es hier relativ deutlich sein sollte, habe ich nichts zu meckern - ausser über den Schluss. Ich frage mich ob es Zufall ist, dass ich dieses Jahr mit Eastern Promises, Cloverfield, There Will Be Blood und nun "No Country for Old Men" bisher praktisch nur Filme gesehen habe deren Schluss komplett gegen den Strich und gegen den Hollywood-Mainstream geht. Natürlich ist das oft auf diese Art positiv, aber nicht nur.
Hier hat es mich gestört. Selbstverständlich verrate ich nichts, aber lasst euch gesagt sein: Der Film endet nicht so, wie man es im Entferntesten erwartet. Mich hat der Schluss verwirrt. Zieht sich über den ganzen Film ein ordentlicher (untertrieben) Spannungsbogen, schien es mir fast, als hätte man da plötzlich mit einer Schere reingeschnitten. Wenn man ein wenig über die Aussage nachdenkt, die die Coens wahrscheinlich beabsichtigt haben, passt der Schluss eigentlich, aber das ändert nichts daran, dass ich ihn als unbefriedigend empfunden habe. Auf jeden Fall regt er zum nachdenken an, und ich hoffe, dass er nach mehrmaligem Sehen gewinnt. (wie es z.B. bei "The Departed" der Fall war) Die DVD werde ich mir nämlich kaufen.
Ausserdem wird in dem Film relativ viel ausgeklammert. Ein Mal sehen wir, wie Chigurh ein Haus verlässt und seine Schuhsohlen kontrolliert. Es braucht kein Wort, um uns klarzumachen, was geschehen ist. Ich rechne es dem Film hoch an, dass er dem Zuschauer zumutet, ab und zu selbst zu denken, und ihm offene Fragen mitgibt. Er bemüht sich nicht, alles logisch zu erklären und keine Zweideutigkeiten zuzulassen.
Aber eines ist klar: In diesem Amerika herrscht die Gewalt. Dieses Amerika ist kein Land für alte Leute.
Fazit: Mit ihrer Gewaltfabel stellen die Coen-Brüder einen Film auf die Beine, wie wohl nur sie es können - brutal, nervenzerreisend, zynisch, ruhig und unberechenbar. Wäre da nicht der befremdende Schluss, wäre "No Country for Old Men" wohl das ganz grosse Meisterwerk von 2008. Die Goldmännchen sind aber auf jeden Fall verdient.
ca. 9 von 10 Punkten
7 Kommentare:
Befremdlicher Schluss? Neinnein, das war ein typisches Cormac-McCarthy-Ende (den du in deinem Review leider nicht erwähnst). Tommy Lee Jones' Sinnen über den Sittenzerfall macht sehr viel von der Intensität von "No Country Old Men" aus. Die Rede am Schluss macht einfach Gänsehaut.
Nein, ein philosophischer Tommy Lee Jones macht mir viel weniger Gänsehaut als ein Javier Bardem, der in Socken über den nächtlichen Motelflur schwebt. Und deshalb passt der Schluss imo auch nicht recht zum restlichen Film, weil ein Hochspannungs-Action-Krimi-Western nicht plötzlich zu einer Philosophiestunde werden darf.
Ob der Schluss aus dem Buch stammt ist für seine Qualität ja auch nicht relevant, allerdings gebe ich zu dass es ein Manko ist dass ich noch nie etwas von McCarthy gelesen habe (deshalb habe ich ihn auch nicht speziell erwähnt). Werde ich irgendwann nachholen, versprochen! ;)
Wenn du auf McCarthy eingehst, kommst du sicher auch hinter sein dauerndes Motiv: (wie erwähnt) Sittenzerfall. Da passen auch Szenen wie der Monolog von Jones rein. Aber natürlich ist es schwierig, wenn man McCarthy nicht kennt. Ich empfehle dir das Buch "No Country For Old Men" und das Pulitzer-Preis-Buch "The Road" - sehr stark auf Sittenzerfall ausgerichtet.
"The Road", ja habe ich mir schon länger mal vorgemerkt.
Zum Sittenzerfall: Also für mich ist es im Film ganz klar so rübergekommen, dass es eben keinen wirklichen Sittenzerfall gibt, sondern dass das schon immer so war (siehe Story mit den Indianern), dass dieses Amerika noch nie ein Land für alte Leute war.
Nun habe ich den Film noch ein drittes Mal gesehen und kann auf unser Mini-Gespräch nochmals eingehen.
Bez. Sittenzerfall: Klar, es gab schon immer sinnlose Gewalt (wenn ich Ellis' Geschichte richtig interpretiert habe), aber ein gewisser Zerfall ist schon vorhanden. "The Road" (wurde übrigens mit Viggo Mortensen und Charlize Thron verfilmt, befindet sich in Post-Production) wurde auch als logische Folge von "No Country For Old Men" bezeichnet. Die Aussage ist, so wie ich das sehe, dass Sittenzerfall kein Novum ist, diese Art von Verarmung der Kultur aber dennoch beklagenswert ist. Du hast Recht, dass es sich nicht so Schwarz/Weiss verhält, wie Sheriff Bell dies glauben will.
Ist ein schwieriges Thema...
Und nochmals zum Ende: Den Endmonolog philosophisch zu nennen finde ich etwas übertrieben. Bell macht sich ja nicht wirklich Gedanken über die Welt. Er befasst sich lediglich mit seinen Träumen. Ja, das Ende ist verstörend, weil es so gar nicht zum Rest des Films passt. Ein Laie könnte sogar sagen, dass man einfach noch zeigen wollte, was mit Bell geschehen ist. Aber mit dem Wissen um Spannungsbogen etc. lässt sich sagen, dass das Ende dem Anfang den Deckel aufsetzt. Bell sagt am Anfang, wie er die Oldtimers bewunderte. Am Ende spricht er über den Traum mit seinem Vater. Er bewundert seinen Vater offensichtlich, sieht aber ein, dass dieser nun fort ist und (im Tod) auf ihn wartet. Bell wird imho bewusst, dass auch er nun zu den Oldtimers gehört.
Naja, soviel dazu.
Ich habe ihn mir nun auch nochmals angeschaut (DVD-Kauf war ja wohl Pflicht ;) ) und bin nun dem Endmonolog, philosophisch oder nicht, nicht mehr abgeneigt, im Gegenteil. Zumindest der Traummonolog von Ed ist eigentlich ein guter Abschluss, denn er gibt einem zum Nachdenken und rundet den Film - wie du sagst - wirklich gut ab, wenn man mit dem Einstiegsmonolog vergleichst.
Das Problem, das ich mit dem letzten Viertel des Filmes habe, liegt denke ich etwas früher. Es ist wohl wirklich dieses plötzliche Sterbenlassen der Hauptperson, welches natürlich im Konzept gewissermassen Sinn gibt (die Vorankündigung im Dialog mit der Frau ist ja an sich schon cool), aber das hilft mir einfach nichts. Ich kann nur wiederholen: Da hat man diesen sauspannenden beinahe Hitchcockartigen Spannungsbogen und plötzlich - cut. Damit werde ich mich wohl nie anfreunden können. Aber das ist ja auch nicht dermassen tragisch, der Film hat ja so viele andere Qualitäten. ;)
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