Samstag, 29. Januar 2011

Tron (DVD Review), Tron: Legacy (Kino Review)



Tron (1982) vs. Tron: Legacy (2010)

Es war einmal im Jahre 1982: Die Zeit, als man die Gewichtsangabe einer HD noch mit ihrem Speicherplatz verwechseln konnte und als in Star Wars das erste animierte Drahtgittermodell auf der Leinwand zu sehen war, ist noch frisch in Erinnerung. Da bringt Disney einen seltsamen Film ins Kino, der praktisch ausschliesslich in einer obskuren Computerwelt spielt und aussieht wie ein Arkade-Videospiel: Tron.
Gut 30 Jahre später: Terabyte-HDs bekommt man praktisch nachgeworfen, dass ein ganzer Computer in die Hosentasche passt ist geradezu selbstverständlich geworden und alle Welt ist noch berauscht von Avatar, mit dem die Grenze zwischen Realaufnahmen und CGI endgültig verschwunden ist. Da bringt Disney unter grossem Marketing-Tamtam die Fortsetzung eines seltsamen Science-Fiction-Films aus den 80ern ins Kino. Ein heikles Unterfangen: Finanziell war der Originalfilm nicht gerade ein Erfolg und von den Massen, welche man mit Tron: Legacy ins Kino locken will, kennt ihn sowieso nur ein Bruchteil. Nichtsdestotrotz oder gerade deswegen hat Disney eine Riesensumme in den Erstling von Joseph Kosinski (der Macher des Originals, Steven Lisberger, fungiert als Produzent) gepumpt und setzt auf erstklassige Computereffekte, welche natürlich gemäss dem state of art in mindblowing 3D präsentiert werden.

Handelte Tron vom Hacker Flynn, der in den Cyperspace entführt wird und dort gegen eine übermächtige KI ankämpfen muss, so erzählt Tron: Legacy die Geschichte seines Sohnes, der das Verschwinden des Vaters aufklären will und dabei ebenfalls in der Computerwelt landet.

Die Neuauflage hat im Prinzip genau drei Dinge zu bieten: Die Musik, die Effekte und das Design. Das Erste ist Daft Punk zu verdanken, welche für den Soundtrack engagiert wurden. Das Zweite ist eine reine Frage des Geldes, woran es wie gesagt nicht mangelte. Und das Dritte geht größtenteils auf die Kappe des Originals, denn Tron: Legacy wirkt oft mehr wie ein Remake denn eine Fortsetzung. Schwer zu sagen, ob es dabei an Kreativität oder an Mut fehlte, jedenfalls hat man sich damit begnügt, die Computerwelt des Originals optisch aufzumotzen und ihr den neusten CGI-Schliff zu verpassen, statt sie weiterzudenken, weiterzuentwickeln und der heutigen technologischen Situation anzupassen. Hinweise auf aktuelle Diskussionen und Problembereiche beschränken sich auf eine kleine Einbindung der open-source-Idee zu Beginn, die jedoch nicht weiter verfolgt wird. Schade, hätte das Original dazu doch eine Steilvorlage dargestellt – schliesslich ging es in dem Film darum, dass die Programme von der Tyrannei des Master Control Program befreit werden und sich frei mit ihren Usern verbinden können. Auch die Eskapismusgefahr, die mit den heutigen Videospielen bekanntlich enorm angestiegen ist, liesse sich im Tron-Universum hervorragend thematisieren. Stattdessen setzt uns Tron: Legacy die krude Geschichte von einer Gruppe „selbsterzeugter Programme“ vor; eine Art auserwähltes Volk mit magischen Kräften, welches alle Probleme dieser Welt lösen soll, aber vom Bösewicht – auch hier wieder eine Super-KI, diesmal aber in Gestalt von Flynn Seniors alter ego – niedergemetzelt wurde.

Mann muss ehrlich sein: Der original Tron hat auch nicht gerade den Oscar fürs beste Drehbuch verdient. Er bot eine verwurstelte, nicht besonders überzeugende Rahmenhandlung (ein Fehler, den die Fortsetzung geradewegs wiederholt), die aber im Prinzip völlig irrelevant wird, sobald Flynn den Cyberspace betritt (ebenso in der Fortsetzung). In diesem Moment beginnt die eigentliche Geschichte, nämlich im Grunde ein klassisches Fantasy-Abenteuer inmitten einer digitalen abstrakten Formenwelt.
Und irgendwie funktioniert die Sache. Charakterentwicklungen und –konflikte werden zwar nur sehr begrenzt geboten, doch der junge Jeff Bridges schafft es mit seiner lockeren und frechen Art, die Sympathien auf seine Seite zu ziehen. Bereitwillig folgen wir ihm wie Alice ins Wunderland, wo er sich mit allerlei Schergen des bösen Imperiums herumschlagen muss, ein schwebendes Bit als Side-Kick erhält und im Zuge seiner epischen Reise sogar bei einem magischen Brunnen Halt macht. Während die mythischen Elemente in der Fortsetzung einen Bruch mit der ultramodernen Optik darstellen, so sind sie hier allgegenwärtig und bilden geradezu ein Grundstein der Computerwelt. Die Idee, eine klassisch aufgebaute, geradezu märchenhafte Welt mit einem futuristischen Design umzusetzen, ist nicht unbedingt neu (das selbe fand auch im ersten Star Wars statt), funktioniert in Tron dennoch ziemlich gut.

Es schmerzt beinahe, zu sehen wie in Tron: Legacy die Storyelemente des Originals reclyclet werden, jedoch ohne Liebe und Gespür für den Erzählfluss. Statt eine spannende Geschichte zu erzählen werden bombastische Actionszenen (die schnell öde werden, weil man nicht mitfiebert) aneinandergereiht und hin und wieder von „einfühlsamen“ Dialogen unterbrochen, die man halt auch irgendwo unterbringen musste. Diese „tiefgründigen“ Szenen funktionieren nicht, weil jede Figur im Film matt und uninteressant ist und weil mit stumpfen Standartfloskeln versucht wird, den Konflikten eine Aura von Wichtigkeit zu verpassen. Dazu kommt das bereits erwähnte „philosophische“ Geschwafel von Schicksal und Bestimmung.
Jeff Bridges als Quasi-Jedi-Meister hat nicht viel mehr zu tun als mit ehrwürdiger Haltung und ernster Miene in der Gegend herumzustehen oder zu meditieren, manchmal auch beides. Garrett Hedlund bietet als Flynn Jr. eine ebenso grandiose Leistung wie in Troy – er ist ein charakterloser Nobody, der sich ständig in brenzlige Situationen bringt, diese aber überraschenderweise alle mit Bravour meistern kann. Da zu keinem Zeitpunkt Zweifel am guten Ausgang der Geschichte aufkommen und da sich die Gegner eher durch Unfähigkeit denn durch Gefährlichkeit auszeichnen, kommt im ganzen Film kaum Spannung auf.

Keine Frage, die Effekte in Tron: Legacy sind atemberaubend und der Film bietet das vielleicht tollste 3D-Erlebnis seit Avatar. Im Gegensatz zu Pandora scheint bei der Erschaffung jedoch keinerlei Liebe im Spiel gewesen zu sein, denn die Welt wirkt kalt und charakterlos. Alles ist schnell, stylisch und könnte von Steve Jobs höchstpersönlich designt sein, gegen den Charme der klobigen Drahtgittermodelle von 1982 kommt das Ganze aber irgendwie nicht an. Natürlich hat Tron hier einen starken Nostalgiebonus, da die verwendete Kombination von einfachen Computeranimationen mit aufwändig nachbearbeiteten Realaufnahmen rückblickend ein recht skurriles Beispiel für eine in Kinderschuhen steckende Technik darstellt. Nichtsdestotrotz haben die Bilder noch heute einen starken Reiz und es fällt nicht schwer, sich vorzustellen wie wegweisend sie vor 30 Jahren waren – während die Computertechnik in Tron: Legacy lediglich teuer und aufwändig, jedoch nicht im geringsten innovativ ist. Der Mut für Experimente scheint Disney im Laufe der Jahre abhanden gekommen zu sein.

Der Unterschied zwischen Tron und Tron: Legacy ist im Grunde der selbe wie zwischen Star Wars und Star Wars: The Phantom Menace: Teil 1 bot eine neue, fantastische Welt voller witziger Details, hatte einen sympathischen Hauptdarsteller und war technisch nicht perfekt, aber bahnbrechend umgesetzt. Teil 2 erzählt eine langweilige Geschichte, enthält Wachsfiguren statt echten Schauspielern und ist technisch makel- und lieblos umgesetzt. Aber immerhin ist da ja noch Daft Punk.

Tron (1982): aufgerundet ca. 8 von 10 Punkten
Tron: Legacy (2010): aufgerundet ca. 6 von 10 Punkten


Weitere Bilder zu Tron:







Mittwoch, 26. Januar 2011

God No Say So (Kino Review)



God No Say So

Der Film wurde im Rahmen der 46. Solothurner Filmtage gezeigt.

Inhalt:

Der Bürgerkrieg in Sierra Leone stellt ohne Frage eines der düstersten Kapitel der Menschheitsgeschichte dar. Er begann in den frühen 90er, dauerte über 10 Jahre und forderte zehntausende zivile Todesopfer. Der Hauptkonflikt spielte sich zwischen der Rebellenorganisation RUF und den Regierungstruppen ab, im Verlaufe des Krieges griffen jedoch auch Söldnertruppen, die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS und UN-Blauhelme ein.

Was dieses gewaltige Chaos für die Zivilbevölkerung bedeutete, versucht Brigitte Uttar Kornetzky in ihrem Dokumentarfilm God No Say So zu ergründen. Zu diesem Zweck bereiste sie das Land und liess überall die Leute von ihren Kriegserlebnissen berichten. Ein Schwerpunkt liegt dabei in der Praxis der RUF, den Zivilisten die Hände abzuhacken, um sie symbolisch von der Teilnahme an den Wahlen abzuhalten. Kornetzky begegnet aber nicht nur Trauer und Schrecken, sondern auch Optimismus, sei bei Schulkindern oder bei einer Prostituierten.

Kritik:

Die Thematik des Bürgerkriegs in Sierra Leone wurde erst vor wenigen Jahren mit Blood Diamond massengerecht aufbereitet. Einen geradezu entgegengesetzten Ansatz vertritt God No Say So, welcher gänzlich auf eine Dramatisierung des Gezeigten verzichtet und statt dessen auf menschliche Nähe setzt. Dies gelingt Kornetzky, die den Film praktisch im Alleingang hergestellt hat, indem sie behutsam an die porträtierten Personen herangeht und sie ausführlich zu Wort kommen lässt. Auch die Kameraarbeit ist sehr schlicht und der Film besteht in erster Linie aus Interviews und „Stimmungsbildern“, welche das noch heute sehr arme Leben der Bevölkerung einfangen.

Das grosse Problem des Filmes besteht darin, dass Kornetzky die technischen und erzählerischen Elemente geradezu systematisch vernachlässigt. Dies beginnt damit, dass das ganze Material scheinbar von einem kleinen Camcorder von der Hand aus gefilmt wurde. So gross der Vorteil dessen auch sein mag – die Personen sprechen offen und ungehemmt – die Perspektive, die dem Zuschauer eröffnet wird, ist dadurch stark eingeschränkt. Visuell interessant sind die meisten Aufnahmen auch nicht, sondern scheinen oft mehr „aufs Geradewohl“ gefilmt. Ein wirklich hautnahes Gefühl, an Ort und Stelle in Sierra Leone zu sein, kommt somit nicht auf.

Auch der Schnitt, traditionell das wirkungsvollste Werkzeug des Dokumentarfilms, fällt bei God No Say So dürftig aus. Im Prinzip werden die Episoden lediglich aneinandergereiht, ohne dass ein grosses erzähltechnisches Konzept zu erkennen wäre. Es gelingt nicht, die einzelnen Geschichten – so eindrucksvoll sie auch sein mögen – zu einem grossen Ganzen zu verknüpfen, wodurch der Film nur eine begrenzte innerliche Spannung aufbauen kann. Nicht besonders hilfreich ist auch der Musikeinsatz, der ziemlich ungeschickt und abgehackt ausfällt.

God No Say So
ist ein Dokumentarfilm, dessen humanistische Absicht zwar allgegenwärtig ist, der im Endeffekt aber nicht über das Aufzählen von Kriegsgreueln hinauskommt. Sucht man überzeugende Afrika-Dokus, ist man zum Beispiel mit Das Schiff des Torjägers besser beraten. Als Einführung in die Thematik Sierra Leone eignet sich die Hollywood-Variante Blood Diamond dann doch irgendwie besser.

ca. 5 von 10 Punkten

Machete Maidens Unleashed! (Kino Review)



Machete Maidens Unleashed!

Der Film wurde im Rahmen des 6. Zurich Film Festival gezeigt.

Inhalt:

Bis in die 60er Jahre hatte im Westen wohl noch kaum einer je davon gehört, dass die Philippinen eine der produktivsten Filmnationen der Welt waren. Das änderte sich, als es in den 70er zahlreiche amerikanische Produzenten nach Südostasien zog, um dort billige Horror- und Actionstreifen zu drehen. Die Bedingungen waren dazu auch ideal, schliesslich boten die Philippinen eine grosse bestehende Filmindustrie, verlockende Schauplätze, kaum staatliche Richtlinien und vor allem kostengünstige Arbeitskräfte. So entstanden in dieser Phase zahlreiche der sogenannten Exploitation-Filme, die mit allzu leicht durchschaubaren Mitteln versuchten, das Interesse des Zuschauers zu wecken.

In diesem Dokumentarfilm kommen die damaligen Regisseure und Schauspieler(-innen), aber auch Filmhistoriker und -kritiker zu Wort. Augenzwinkernd erzählen sie über diese Blütezeit des B-Movies, streuen Anekdoten ein und können manchmal gar nicht glauben, gewisse Dinge damals wirklich getan zu haben. Ein kickboxender Zwerg ist längst nicht das Skurrilste, das dabei zum Vorschein kommt.


Kritik:

2007 drehten Quentin Tarantino und Robert Rodriguez mit Grindhouse eine Hommage an die Exploitation-Filme der 70er und 80er. Rodriguez hat seither mit Machete noch einmal nachgelegt und es scheint tatsächlich so, als würden sich die trashigen Gewalt- und Erotikstreifen wieder zunehmender Beliebtheit erfreuen. Mark Hartleys Dokumentation Machete Maidens Unleashed! erscheint somit gerade zur richtigen Zeit.

Der Aufbau des Filmes ist grob chronologisch gegliedert und thematisiert nebenbei die Entwicklung des Filmschaffens vor dem Hintergrund der politischen Situation der Philippinen. Die einzelnen Zeitabstände sind wiederum thematisch unterteilt, es werden also in erster Linie die verschiedenen Untergenres und einige ihrer führenden Exponenten vorgestellt. Wir erfahren beispielsweise, dass es im Subgenre Women in prison films eine eigene Richtung der Jungle prison films gibt, welche bevorzugt von Frauen handeln, die in einer diktatorischen Bananenrepublik aus einer sadistischen Gefangenenanstalt fliehen müssen. Kleidung ist in dieser tropischen Hitze selbstverständlich eher überflüssig. So wird etwa The Big Bird Cage mit dem späteren Jackie Brown-Star Pam Grier und vom B-Movie-Meister Roger Corman folgendermassen angepriesen: Women so hot with desire they melt the chains that enslave them!

Neben den beiden oben Erwähnten kommen unter anderem auch John Landis und Sid Haig (The Devil's Rejects) ausführlich zu Wort. Besonders interessant ist der Teil über Apocalypse Now, welcher ebenfalls zu dieser Zeit in den Philippinen gedreht wurde. Die Situierung im Kontext der B-Movie-Industrie wirft dabei neues Licht auf die - bekanntermassen desaströse - Produktionsgeschichte des Filmes. Ansonsten mag Machete Maidens Unleashed! allerdings für Exploitation-Fans abgesehen von der Bedeutung des besonderen Drehortes wenig Neues zu bieten haben. Auch formal sticht der Film nicht heraus, besteht er doch vor allem aus Interviews, die mit einer eineinhalbstündigen Trailerschau der erwähnten Filme unterlegt ist. Wer allerdings in erster Linie den Anspruch hat, einen Überblick im Schnelldurchlauf zu erhalten, ist auf jeden Fall bestens bedient.

Voraussetzung gibt es eigentlich nur eine: Seltsamen Humor. Wer nämlich über diese abstrusen, meistens unfreiwillig komischen Filme, die rosaroten Blutfontänen und Pappmaché-Monster nicht lachen kann, ist ohne Frage fehl am Platze. Auch eine Prise Nostalgie schwingt in vielen Interviews mit, wenn sich derjenige zurückerinnert an die Zeit, als die Filme keine Rechtfertigung brauchten, um die Protagonistin den halben Film mit nacktem Oberkörper herumrennen zu lassen, und als es keine Hemmungen gab, noch so reisserisch um die Aufmerksamkeit des Zuschauers zu buhlen. Unübertroffen ist zum Beispiel die Tagline von Vampire Hookers:

BLOOD ISN'T THE ONLY THING THEY SUCK!


ca. 7 von 10 Punkten

Einmal mehr als nur reden (Kino Review)



Einmal mehr als nur reden

Der Film wurde im Rahmen des 6. Zurich Film Festival gezeigt.

Inhalt:

Nachdem das mittelamerikanische Nicaragua 45 Jahre vom diktatorischen Somoza-Clan regiert worden war, kam es 1977 zu einem landesweiten Bürgerkrieg, der zwei Jahre später in der Machtergreifung der kommunistisch-revolutionären Sandinistas mündete. Von da an führte die USA unter Ronald Reagan Bestrebungen durch, die neue Regierung zu stürzen, indem sie die somozische Guerilla militärisch und finanziell unterstützte.

Dies führte wiederum zu einer Welle weltweiter Sympathisierung von linken Aktivisten mit Nicaragua. Im Zuge dieser Euphorie entstand im Jahr 1984 die Arbeitsbrigade "Februar 34", die aus fünzig Österreichern bestand, die sich in den tiefen Dschungel im Süden des Landes begaben, um dort bei der Errichtung von Infrastruktur-Einrichtungen zu helfen. Das Credo der jungen Frauen und Männer: Einmal mehr als nur reden!

Kritik:

Der Dokumentarfilm von Anna Katharina Wohlgenannt rekonstruiert anhand zahlreicher Interviews mit den damaligen Teilnehmern und ausführlichem Archivmaterial die Ereignisse im Februar 1984, während dem die Brigade in Nicaragua weilte. Dabei entfaltet sich dem Zuschauer bald ein viel differenzierteres Bild als die naheliegende Ansicht, dass es sich hier lediglich um ein unüberlegtes Unterfangen von fünfzig naiven Friedensaktivisten handelte. Dies trifft sicher in vielerlei Hinsicht zu, doch schon das Spektrum der Teilnehmer reichte erstaunlich weit: Von linkskonservativen Hardlinern über engagierte Maoisten bis hin zu Mitgliedern einer katholischen Jugendbewegung - alles war vorhanden. Rückblickend erzählen diese Menschen einerseits detailliert über Ablauf des Unternehmens und die Schwierigkeiten, die sich angesichts der fremden Kultur und dem tropischen Klima ergaben. Anderseits schildern sie unverkrampft die Träume, Ideale und politischen Weltanschauungen, die sie zu dieser Reise bewegten.

Interessanterweise spürt man bei vielen auch heute noch die Bestürzung darüber, dass die Zeit der Revolution in Nicaragua nach gut zehn Jahren bereits wieder vorüber war und dass aus der sozialistischen Weltrevolution schlussendlich nichts wurde. Tatsächlich war die Einstellung vieler österreichischen Aktivisten gegenüber den Verhältnissen in Nicaragua anfangs nicht nur naiv, sondern auch ziemlich arrogant. Man ging mit der Einstellung nach Mittelamerika, den "armen Eingeborenen" dort beibringen zu müssen, wie eine soziale Revolution gemacht wird. Es gab jedoch durchaus Teilnehmer, die nicht nur Revolution "spielen" wollten, sondern ernsthafte politische Veränderungen bewirken wollten und ihre Meinung diesbezüglich bis heute nicht geändert haben.

Die Regisseurin fängt dies alles ein, ohne einen Kommentar oder gar eine Wertung abzugeben. Stattdessen entfaltet sich ein ausführliches Zeitdokument, welches der Gefahr der Heroisierung nicht ganz entgeht, auch wenn das Urteil grösstenteils dem Zuschauer selbst überlassen wird. Einmal mehr als nur reden ist ein persönliches und facettenreiches Portrait der letzten sozialen Utopie des 20. Jahrhunderts.

ca. 7 von 10 Punkten


Vielleicht in einem anderen Leben (Kino Review)



Vielleicht in einem anderen Leben

Der Film wurde im Rahmen des 6. Zurich Film Festival gezeigt.

Inhalt:

Österreich, 1945: Während der Feind bereits vor der Tür steht, werden noch immer massenweise Juden in Konzentrationslager deportiert. Eine Truppe sitzt in einem kleinen Dorf fest, da die Befehlskette der SS gerissen ist. Notdürftig werden die gut ein Dutzend Juden in einer Scheune untergebracht, wo sie hungrig und niedergeschlagen ausharren.

Da kommt einer der Juden, ein ehemaliger Opernsänger aus Budapest, auf die Idee, in der Scheune eine Operette aufzuführen. Anfangs halten es die Anderen für eine reine Spinnerei, doch der Sänger kann sie überzeugen, dass etwas Musik gerade an so einem Ort bitter Not tut. Mit der Hilfe einer Bäuerin (Ursula Strauss) und ihrer Magd tragen sie nach und nach alles zusammen, was für die Aufführung nötig ist. Doch der Mann der Bäuerin (Johannes Krisch) bekommt bald Wind von der Sache.

Kritik:

Keine Frage, der österreichische Film hat Hochkonjunktur. Drei Jahre in Folge waren die Ossis im Rennen um den Oscar für den besten fremdsprachigen Film vertreten, mit Die Fälscher gewannen sie sogar. In diesem Zusammenhang scheint Vielleicht in einem anderen Leben von Elisabeth Scharang auf den ersten Blick prädestiniert für eine Oscar-Nomination - handelt der Film doch ebenfalls vom (bei der Academy beliebten) Nazi-Thema und porträtiert wie schon Das weisse Band das nur oberflächlich idyllische Leben in einem bäuerlichen Dorf.

Warum gelingt es dem Film nicht einmal annähernd, die Qualität der eben genannten Werke zu erreichen? Das hat mehrere Gründe: Wir erhalten etwa keinerlei Gefühl für das Dorf als abgeschlossener Mikrokosmos, wie es in Das weisse Band so akribisch genau in Szene gesetzt wurde. Das Dorf und insbesondere die Scheune sind lediglich die Kulisse für die überaus konstruierte Story. Es scheint, als habe der Versuch, den der Story zugrundeliegenden Theaterstoff in Filmform umzugiessen, hier nicht wirklich geklappt.

In diesem starren Rahmen fliesst die Handlung ebenso zäh dahin. Nicht, dass ein gemächliches Erzähltempo aus Prinzip anzukreiden wäre, aber hier wird dem Zuschauer wirklich sehr wenig Überraschendes oder gar Packendes geboten. Zwar können sowohl der Anfang als auch der Schluss punkten, zwischendrin macht sich jedoch teilweise gähnende Langeweile breit. Diese kann der Film auch nicht durch etwaige visuelle Schauwerte kompensieren, da einerseits die Inszenierung absoluter Durchschnitt ist und anderseits für grosse Kulissen und Ähnliches schlicht kein Geld vorhanden war.

Geradezu ärgerlich ist der Film insofern, als die meisten Figuren reine Klischees sind: Klar, wir haben auf der einen Seite den rassistischen Vater und auf der anderen Seite die gutherzige, aber unterdrückte Ehefrau. Charaktere werden auf einige wenige Eigenschaften festgelegt, und wenn denn eine Figur eine Entwicklung durchmacht, wirkt sie viel zu überstürzt. Überhaupt mag das ganze Szenario auf der Bühne noch funktionieren, wirkt im Film jedoch schlicht unglaubwürdig: Die Juden sitzen den ganzen Tag in der Scheune herum, haben nichts anderes zu tun als eine Operette aufzuführen, und praktisch jeder scheint einfach rein und raus spazieren zu können. Was die SS-Truppe, welche die Juden begleitete, den lieben langen Tag lang macht, erfährt man ebenfalls nicht; Auf jeden Fall scheinen sie etwas Wichtigeres zu tun haben als ihre Gefangenen zu bewachen.

Am Ende macht es sich der Film mit der Thematik viel zu einfach: Es wird so dargestellt, als wäre der Antisemitismus nur ein oberflächlicher Irrtum einiger böser Männer, der durch Vernunft und Menschlichkeit in Sekundenbruchteil widerlegt werden kann. Dabei wird verschwiegen, dass rassische Vorurteile in der deutschsprachigen Gesellschaft sehr viel tiefer verwurzelt sind und weder erst mit den Nazis begannen, noch mit Hitlers Tod aufhörten. Statt tiefer in der Mentalität der Dorfgemeinschaft zu graben, wie es Das weisse Band getan hat, ist Vielleicht in einem anderen Leben schlicht ein Gutmenschen-Film, der uns nichts Neues über das Thema zu erzählen weiss.

ca. 4 von 10 Punkten


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