Samstag, 31. Mai 2008

Control (Kino Review)



Control

Am 18. Mai 1980 nahm sich Ian Curtis das Leben. Er wurde 23 Jahre alt. Der Sänger der Dark Wave- und Post Punk-Band Joy Division begeisterte mit seiner aussergewöhnlichen Stimme und hat noch heute leidenschaftliche Fans. Trotzdem ist er kein Massenphänomen und der breiten Masse relativ unbekannt. Auf jeden Fall würden 99% der Jugendlichen heute den Namen zum ersten Mal hören. Es ist also klar, dass Anton Corbijns Filmportrait kaum viele Menschen in die Kinosäle locke wird. Schade, denn sie verpassen eine (ebenso wie die Musik) aussergewöhnliche Perle von Film.

Realismus war bei der Umsetzung dieser Biographie offenbar ein wichtiger Aspekt. Wir erleben schliesslich einen normalen jungen Mann, der in den 70er Jahren in einem Städtchen bei Manchester aufwächst, sich langweilt, Drogen ausprobiert, rauchend im Bett liegt und T-Rex hört. Sehr bald heiratet er seine erste grosse Liebe und erst nach einem Konzert der Sex Pistols steigt er bei der Band Warsaw als Sänger ein. Klar, dass der ganze Film wesentlich von der Hauptperson abhängt. Corbijn, welcher Curtis damals zweimal getroffen hat und an mehreren Konzerten von Joy Division war, hatte dabei offensichtlich das richtige Händchen. Neuentdeckung Sam Riley sieht Ian Curtis nicht nur ziemlich ähnlich, während den zwei Stunden ist er Curtis. Er spielt diesen zerissenen Menschen, als hätte er nie etwas anderes getan, und bringt ihn dem Zuschauer unerhört nahe. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie der Film mit einer anderen Besetzung hätte in die Hosen gehen können. Auch sonst wurden die Auftritte der Band akribisch genau nachkonstruiert und die meisten Rollen gut bis fantastisch besetzt.

Ian Curtis ist ein Phänomen. Ein verschlossener, unsicherer, schweigsamer junger Mann, ein Poet, der auf der Bühne seine Seele ins Mikrophon singt und eine ganz spezielle Ausstrahlung verbreitet. Aber er ist kein Superstar. Er bleibt bis zu seinem Tod ein "normaler", nicht vom Ruhm überschütteter Mensch, keine Frauen belagern kreischend sein Haus, die Konzerte finden vor einem nach heutigen Massstäben mickrigen Publikum statt. Und es ist auch nicht ausschliesslich der künstlerische Druck und die Tatsache, dass das Publikum immer mehr und mehr fordert, an dem er schlussendlich zerbricht. Hinzu kommt Curtis' ständige Angst bezüglich seiner Epilepsie und den Tabletten dagegen und seine privaten Probleme mit seiner Frau und seiner Affäre Annik Honoré, von denen beiden er nicht loskommt. Natürlich muss man dem Stil von Joy Division etwas abgewinnen können, um den Film zu mögen, aber er spricht sehr wohl universelle und existenzielle Themen an.

Man sieht jeder Sekunde des Filmes an, dass hier ein preisgekrönter Photograph am Werk war. Im höchst positiven Sinne. Die schwarzweiss-Bilder, die Corbijn gezaubert hat, sind grossartig und allein ihretwegen lohnt sich der Kinobesuch. Er arbeitet gekonnt mit Belichtung und Bildkomposition, sodass man eigentlich jedes einzelne Bild ausdrucken und an die Wand hängen könnte. Der Film harmoniert auch vollkommen mit der Musik von Joy Division - düster, tranceartig, melancholisch, wütend, persönlich. Die Stücke sind denn auch genial eingebunden und untermalen perfekt. Wenn am Schluss Atmosphere (meiner Meinung nach Joy Division's bester Song) erklingt, ist das Gänsehaut pur. Und danach kann man schwer beeindruckt und berührt das Kino verlassen.

Fazit: Anton Corbijn hat mit Control ein zutiefst menschliches und intimes Portrait eines zerrissenen Mannes geschaffen. Ein kleines Meisterwerk des modernen englischen Kinos.

abgerundet ca. 9 von 10 Punkten

1 Kommentar:

Adalira hat gesagt…

Einfach nur wunderschön. Grossartiger Film. Fesselnd von Anfang bis Ende. Kann mich deinem Review eigentlich nur anschliessen. Die Bildsprache ist einzigartig und mit viel Liebe zum Detail... Das Portrait von Ian, seine Zerrissenheit berührt zutiefst. Ein Meisterwerk.