Samstag, 13. August 2011

Cowboys & Aliens (Kino Review)



Cowboys & Aliens

Cowboys & Aliens wurde im Rahmen des 64. Filmfestival Locarno gezeigt.

Inhalt:

Arizona, in der Zeit des Wilden Westen: Ein Mann (Daniel Craig) wacht ohne Erinnerungen mitten in der Wüste auf. An seinem Handgelenk trägt er ein seltsames metallenes Gerät. Er macht sich auf in die nächste Stadt, wo er alsbald erfährt, dass er Jake Lonergan heisst und ein gesuchter Verbrecher ist. Ausgetrickst von einer schönen Unbekannten (Olivia Wilde), wird Lonergan verhaftet und soll sogleich per Gefangenentransport nach Santa Fe überführt werden. Doch soweit wird es nicht kommen.
Am Abend steht nämlich plötzlich der mächtige Rinderzüchter Dolarhyde (Harrison Ford) mit seinen Männern in der Stadt, dessen Sohn Percy (Paul Dano) ebenfalls nach Santa Fe überführt werden soll. Aber bevor es zur Schiesserei kommen kann, beginnt Lonergans Armband ohne Vorwarnung zu piepsen und Sekunden später erscheinen Raumschiffe aus dem Nichts und greifen an. Die Aliens zerstören die halbe Stadt und entführen zahlreiche ihrer Bewohner, unter anderem Percy. Lonergan und Dolarhyde müssen sich nun widerwillig zusammenschliessen, wenn sie die fremden Angreifer besiegen wollen.

Kritik:

"High-concept" nennt man in der Filmbranche jene Filme, deren Ausgangslage sich leicht in einem Satz zusammenfassen lässt, etwa bei Jaws oder 2012. Dementsprechend wäre Cowboys & Aliens ein "ultra-high-concept"-Film, denn seine Prämisse besteht aus gerade mal zwei Wörtern und wurde gleich in den Titel gepackt. Ein schlechtes Zeichen?

Der neue Film von Jon Favreau (Iron Man, Iron Man 2) beginnt jedoch recht vielversprechend: Ein namenloser Cowboy wacht in der Wüste auf und mäht gleich in bester Spiel mir das Lied vom Tod-Manier drei Kopfgeldjäger nieder. Faverau lässt in der ersten halben Stunde des Films das Herz jedes Western-Fans höher schlagen und vermag sogar Erinnerungen an 3:10 to Yuma zu wecken. Man glaubt schon fast, endlich wieder in einem straight-forward-Western zu sitzen.

Doch dann kommen die Aliens. Und machen nicht nur das Städtchen Absolution dem Erdboden gleich, sondern zerstören auch die waschechte Wildwest-Stimmung, die der Film bis dahin sorgfältig aufgebaut hat. Zugegeben, wir haben in neuerer Zeit schon ödere Alien-Invasionen gesehen (*hust*). Tatsächlich ist die Sache hier gut gemacht und die titelgebende Revolverhelden-vs-Marsmenschen-Action, die sich nun entfaltet und den restlichen Film dominiert, ist durchaus kurzweilig. Dennoch bleibt ein fahler Beigeschmack: Die Aliens wirken uninspiriert zusammengesetzt aus zahlreichen Elementen anderer Sci-Fi-Filme, ohne dass eine eigenständige Mythologie gebildet würde. Die Folge davon ist, dass Cowboys & Aliens den Anschein nicht verdecken kann, es seien hier zwei völlig unterschiedliche Filme auf Biegen und Brechen zu einem einzigen zusammengeschweisst worden. Diese Inkohärenz gibt dem Gezeigten eine beinahe schon trashige Note, wobei es auch nicht hilfreich ist, dass sich der Film selbst bierernst nimmt.

Ein weiteres Problem von Cowboys & Aliens ist seine Hauptfigur: Jake Lonergan, von Daniel Craig wie ein moderner Charles Bronson verkörpert, bleibt über den ganzen Film blass und uninteressant. Das hängt damit zusammen, dass sich die Autorenschaft aus unerklärlichen Gründen dafür entschieden hat, dem Film einen starken Mystery-Touch zu geben - oder war das etwa der Einfluss von Co-Autor Damon "Lost" Lindelof? Nicht, dass dem Zuschauer immer gleich alles erklärt werden müsste, aber man braucht gewisse Hintergrundinformationen zu einer Figur, um sich mit ihr identifizieren zu können. Und die Bourne-Masche funktioniert hier deshalb nicht, weil sie zu wenig sorgfältig eingeführt wird und sich mit dem Casting von Craig beisst, der nunmal nicht über den Sympathiefaktor eines Matt Damon verfügt. So bleibt uns das Innenleben von Lonergan weitgehend verborgen und es ändert sich auch wenig dadruch, dass später eine 0815-Backstory über Lonergans verlorene Liebe nachgeschoben wird.

Als wäre eine schwammig charakterisierte Hauptfigur noch nicht genug, trifft das selbe auch auf die Rolle von Olivia Wilde zu: Über die gesamte erste Hälfte des Filmes ist Ella einfach da, stellt mysteriöse Fragen und scheint mehr zu wissen als die anderen, nur leider wissen wir nichts über sie, was aber nötig wäre, damit sie uns sympathisch oder zumindest menschlich erscheinen lassen würde. Die nachgeschobene Erklärung ändert auch hier nichts daran, dass uns ihr Charakter mehr als eine Stunde lang kalt lässt. Immerhin schafft es Altstar Harrison Ford, dem man den Bad Guy zu Beginn so gar nicht abnehmen will, seiner Figur mit der Zeit mehr Tiefe zu verleihen. Die wahren Sympathieträger des Films sind jedoch die Nebenfiguren - allen voran Sam Rockwell als Doc - da viele von ihnen interessanter charakterisiert sind als die Protagonisten.

Insgesamt lässt sich sagen, dass Favreaus Film zwar viel Potential verschenkt hat, jedoch durchaus ein unterhaltsamer Sommerblockbuster jenseits all der Comicverfilmungen und Remakes geworden ist. Das ändert aber nichts daran, dass Cowboys & Aliens ohne die Aliens wahrscheinlich mehr Spass gemacht hätte.

aufgerundet ca. 7 von 10 Punkten


Dieses Review ist erschienen auf OutNow.

Montag, 8. August 2011

Les chants de Mandrin (Kino Review)



Les chants de Mandrin

Les chants de Mandrin wurde im Rahmen des 64. Filmfestival Locarno gezeigt.

Inhalt:

Frankreich, 1755: Das Ancient Régime herrscht über das Land und bestraft jeden, der sich ihm widersetzt. So auch den Räuberhauptmann und Schmuggler Louis Mandrin, eine Art französischer Robin Hood, der öffentlich hingerichtet wurde. Doch seine überlebenden Kumpanen geben nicht auf, sondern organisieren weitere Schmuggelaktionen im Land.
Ein Hausierer (Christian Milia-Darmezin), der unter anderem ebenfalls illegale Waren verkauft, trifft eines Tages auf einem Landweg auf einen Marquis (Jacques Nolot). Dieser lässt den Hausierer in seiner Kutsche mitfahren und eröffnet ihm, dass er auf der Suche nach Bélissard sei, dem Anführer der mandrins. Was will der Marquis von ihm, und wird ihm der Hausierer helfen?

Kritik:

Kritisiert man historische Indie- oder Semi-Amateurfilme, bekommt man oft das Gegenargument zu hören, die Filmemacher hätten halt kein Geld gehabt und man könne den Film doch nicht mit den grossen Hollywood-Blockbustern vergleichen. Tatsächlich liegt das Problem jedoch meist nicht im geringen Budget per se, sondern in der Unfähigkeit der Macher, mit den beschränkten Mitteln eine spannende Geschichte zu erzählen. Ein Paradebeispiel dafür ist Les chants de Mandrin von Rabah Ameur-Zaïmeche.

Der Film scheint eine ziemliche Ein-Mann-Produktion gewesen zu sein: Ameur-Zaïmeche war nicht nur als Autor, Regisseur und Produzent tätig, sondern übernahm auch gleich selbst eine wichtige Rolle im Film. Heisst "wichtige Rolle" nun, dass er die Hauptfigur spielt? Da wären wir schon bei einem Hauptproblem des Filmes: Er hat keine Hauptfigur. Rein von der Screentime her müsste dies eigentlich der Hausierer sein, doch seine Figur ist eher als komödiantischer Sidekick angelegt, und zudem stehen der Marquis und Bélissard (verkörpert eben von Ameur-Zaïmeche) zeitweise viel stärker im Zentrum der Handlung.

Wenn wir schon beim Thema Handlung sind: Les chants de Mandrin hat tatsächlich ziemlich viel Handlung, zumindest in dem Sinne, dass einiges geschieht. Und doch ist der Film gähnend langweilig. Denn die Handlung plätschert einfach so vor sich hin, ohne dass uns dies irgendwie interessieren oder gar emotional bewegen würde. Von einem Spannungsbogen keine Spur.

Nicht gerade hilfreich ist ausserdem, dass der Film miserabel gefilmt wurde: Der Kameramann hatte offenbar Freude am Einsatz von Tele-Objektiven, weshalb wir das Geschehen oft aus der Distanz und in extrem flachen, grauen Bildern sehen. Sorgt das Drehbuch nicht bereits für genug Teilnahmslosigkeit seitens des Zuschauers? Dazu kommt, dass man gewisse Einstellungen viel zu lange laufen liess, sei es aufgrund fehlenden weiteren Materials oder in der Absicht, "künstlerisch" zu sein.

Der TV-Look des Filmes wird verstärkt durch die Kostüme, die oftmals wie direkt aus der Garderobe des Kostümverleihs gegriffen aussehen. Auch den Schauplätzen sieht man an, dass es Ruinen oder Teile von Museen sind. Und wenn dann mal ein wenig production value vorhanden war, dann wird es derart ausgekostet, dass der sowieso kaum vorhandene Handlungsfluss noch mehr unterbrochen wird: Etwa bei der Druckerpresse, der zahlreiche Aufnahmen gewidmet wurden, die vielleicht in einer BBC-Dokumentation über die Funktionsweise dieses Geräts interessant wären, aber nicht hier.

Der letzte grosse Kritikpunkt, den sich Les chants de Mandrin gefallen lassen muss, ist der, dass es der Film nicht schafft, uns irgendetwas Interessantes über das historische Phänomen des titelgebenden Volkshelden zu erzählen. Wir hören zwar ständig vom grossen Mandrin, doch sind es lediglich leere Parolen über die Einigkeit Frankreichs und die Schlechtheit des Königs. Am Ende wirkt Ameur-Zaïmeches Film somit wie eine Fernsehproduktion, die für irgendeine Jubiläumsfeier in Auftrag gegeben wurde - mit dem Unterschied, dass eine solche keine 97 Minuten lang wäre.

ca. 3 von 10 Punkten


Dieses Review ist erschienen auf OutNow.

Sonntag, 7. August 2011

Locarno - Tag 4



Ein Treffen mit Craig, Ford, Wilde und Favreau

Am 64. Filmfestival Locarno – Samstag, 6. August

Am Samstag war es endlich so weit: Der grosse Tag! Ich war nämlich für OutNow an ein Press Junket zum Film Cowboys & Aliens geladen, der am Abend auf der Piazza Grande gezeigt werden sollte. Aufgrund der Tatsache, dass es die Europapremiere des Filmes war, reisten alle drei Hauptdarsteller in die Schweiz: Daniel "Bond" Craig, Harrison "Han Solo"/"Indiana Jones" Ford und Olivia Wilde (Dr. House, Tron: Legacy), ausserdem Regisseur Jon Favreau (Iron Man).

Am Morgen um 9 Uhr wurden die Journalisten mit einem Bus in Locarno abgeholt und nach Lugano gefahren. Nach einer einstündigen Fahrt kam man im Hotel Principe Leopoldo, wo die Interviews stattfinden sollten, an. Das Edelhotel ist etwas ausserhalb der Stadt gelgen, ziemlich abgeschirmt von der Öffentlichkeit und bietet einen atemberaubenden Blick über den Luganersee.





Da die Interviews als roundtables stattfinden sollten, wurden die Journalisten als erstes in Gruppen von jeweils 5-8 Leuten eingeteilt. Dann hiess es warten, wobei einem selbstverständlich ein Apéro angeboten wurde. Die meisten studierten in dieser Zeit das Presseheft des Filmes.

Schliesslich wurde man als Gruppe aufgerufen und in einen Saal im ersten Stock des Hotels gebracht. Dort setzte man sich an einen runden Tisch und es kamen einer nach dem anderen die vier Stars in den Raum und setzten sich dazu. Die Interviews dauerten pro Star etwa 20 Minuten, wobei ihnen ohne bestimmte Reihenfolge Fragen gestellt wurden, frei nach dem Motto: De schneller isch de gschwinder. Hinten an der Wand sass jeweils ein "Aufpasser" und es war nicht erlaubt, während dem Interview Fotos zu schiessen. Ich konnte also nur ein Bild des leeren Raumes machen:




An unseren Tisch kamen die Stars in folgender Reihenfolge:

Als erstes kam Olivia Wilde. Die Zeit mit ihr verging sehr schnell, da sie nicht nur eine sehr gutaussehende Frau ist, sondern auch sehr ausführlich antwortete. Dabei war sie überaus freundlich und ging auch auf eher stupide Fragen detailliert ein. Zudem sprach sie auch gerne über Dinge, die nichts direkt mit ihrer Rolle zu tun hatten, etwa ihre Liebe zu Blade Runner oder die Idee des Filmes, dass hier statt die Indianer einmal die Cowboys kolonialisiert werden. Der einzige Negativpunkt war, dass man ihr manchmal anmerkte, dass sie manche Sätze schon zigfach von sich gegeben hat – aber das kann man ihr natürlich nicht vorwerfen.

Als nächstes setzte sich Regisseur Jon Favreau zu uns. Er war ohne Frage der ertragreichste Interviewpartner des Tages. Erstaunlich offen und unverfangen sprach Favreau über die Entstehungsgeschichte des Filmes, seine Inspirationsquellen oder sein Verhältnis zu Steven Spielberg. Zudem äusserte er sich sehr ausführlich zu den filmhistorischen Bezügen in Cowboys & Aliens und allgemein über das Genre des Westerns. Auch machte er überraschend kritische Aussagen über das zeitgenössische Studiosystem, so beklagte er sich über den aktuellen Sequelwahn und die Tatsache, dass heutzutage nur noch "Markenartikel" (grosse Namen wie "Superman", die sich leicht verkaufen lassen) im Vordergrund stehen und das gesamte Marketing von Blockbustern auf männliche Teenager ausgerichtet ist. Weiter liess er durchscheinen, dass er nicht besonders glücklich ist mit dem Weg, den Marvel mit seinem Universum seit Iron Man beschritten hat, und dass Filme wie Thor für ihn zu sehr Fantasy sind.

Als drittes kam der Hauptdarsteller des Filmes, Daniel Craig, alias Mr. Bond. Das Interview mit ihm war etwas zwiespältig: Einerseits ist er sehr witzig und auch recht sympathisch (übrigens kleiner als ich angenommen hatte), anderseits nicht annähernd so gesprächig wie die beiden vorigen Stars. Tatsächlich blockte er bei Fragen, die über seine Rolle hinweg gehen, bald einmal ab. Eher wiederwillig erzählte er von seinem Verhältnis zu Filmen und insbesondern zu Western in der Jugendzeit und antwortete auf Fragen über produktionstechnische Hintergründe, etwa wie weit es mit dem nächsten Bond stehe, dass er damit nichts zu tun habe.

Als letztes kam dann endlich Harrison Ford. Man hört ja oft, dass Ford nicht der beste Interviewpartner sei, aber es war dann doch schlimmer als erwartet: Der Star, der uns so legendäre Figuren wie Han Solo oder Indiana Jones bescherte, sass 25 Minuten da und murmelte etwas in sich hinein. Es schien nicht einmal daran zu liegen, dass er keine Lust hatte, vielmehr wirkte er einfach seltsam abwesend. Zudem war seine monotone, schwerfällige Stimme geradezu einschläfernd. Ford selbst entschuldigte sein Auftreten damit, dass er unter Jetlag leide – ob dies der einzige Grund war oder ob er tatsächlich immer so ist, kann ich nicht beurteilen.


Die Interviews haben auf jeden Fall Spass gemacht und um 3 Uhr war man bereits wieder auf dem Weg nach Locarno. Wahrscheinlich werde ich frühestens nächste Woche Zeit haben, die Tonbandaufnahmen abzuschreiben und auf Deutsch zu übersetzen. Die Interviews werden dann auf OutNow erscheinen, ich werde jedoch sicher auch hier Auszüge posten.


Locarno - Tag 2 + 3


Am 64. Filmfestival Locarno – Donnerstag, 4. August

Der Donnerstag war ein recht ereignisloser Tag: Am Mittag stattete ich dem Rex, wo die Retrospektiven gezeigt werden, meinen ersten Besuch des Jahr ab. Zu sehen war Madame Bovary, einer der frühen Filme von Vincente Minelli, gedreht 1949. Der Film gefiel mir überaus gut, nicht zuletzt weil es ein sehr schöner Exponent einer Ära ist, die heute bereits beinahe exotisch scheint: Das klassische Hollywood, wo Melodramen noch unverhohlen theatralisch und moralisch sein durften. Die Hauptdarstellerin Jeniffer Jones kannte ich übrigens bereits aus Cluny Brown, den ich letztes Jahr in Locarno entdeckte. Ebenfalls eine erfreuliche Überraschung war James Mason (Lolita), auch wenn nur in einer sehr kleinen Rolle.



Im weiteren Verlauf des Tages sah ich ausserdem Hanaan, einen fantastischen Krimi über Drogenhandel in Ostrussland (Review folgt), und die Sci-Fi-Komödie Attack the Block, der Überraschungshit des Jahres aus England (Review folgt). Das Bemerkenswerteste an diesem Tag war jedoch ohne Zweifel das Wetter, welches sich endlich besserte und Locarno einen wunderschönen Tag bescherte:




Freitag, 5. August

Am Freitag machte ich mich als erstes auf zur Pressekonferenz des erwähnten Attack the Block:




Regisseur und Drehbuchautor Joe Cornish machte einen sympathischen Eindruck. Er sprach unter anderem darüber, wie er selbst in der Gegend, wo der Film spielt, aufgewachsen ist und selbst einmal von einer Jugendbande ausgeraubt wurde. Ausserdem ist er ein Jugendfreund von Edgar Wright (Shaun of the Dead) und schrieb mit diesem am Drehbuch des kommenden Tintin mit.

Nachher verbrachte ich etwas Zeit mit Schreiben im Pressezentrum des Festivals:




Am Nachmittag ging es an die sehr gut besuchte Pressevorführung von Vol Spécial von La Forteresse-Regisseur Fernand Melgar (Review folgt).

Um 4 Uhr fand in einer Bar hinter der Piazza ein Anlass des Bundesamtes für Kultur (BAK) stat:




Zuerst sprach Ivo Kummer (oben), der neu angetretene Chef der Sektion Film des BAKs.


Anschliessend stellte Andrea Sailer (links) ihr Buch über Schweizer Filmregisseure vor. Es folgten abschliessende Worte von Jean-Frédéric Jauslin (rechts), dem Direktor des BAK.

Auf dem Rückweg beobachtete ich auf der Piazza Grande zufälligerweise Abel Ferrara, dem dieses Jahr eine Retrospektive gewidmet ist und der auf der Bühne für seinen Auftritt am Abend probte. Dabei spielte er – erfreulicherweise – den Song Dead Flowers.





Dann ging ich tatsächlich noch einmal Hanaan schauen, jedoch nicht den ganzen Film und vor allem wegen der anschliessenden Fragerunde mit Regisseur Ruslan Pak und Hauptdarsteller Stanislav Tyan. Die Sache war recht mühsam, da die beiden koreanisch-stämmigen Russen jeweils einen Satz auf russisch sagten, dieser dann zuerst auf englisch und dann auf italienisch übersetzt wurde.



Am Abend konnte ich mir dann endlich Cowboys & Aliens in der Pressevorführung ansehen (Review folgt). Nachdem der Film fertig war, schaute ich noch kurz auf der Piazza vorbei, wo in strömendem Regen (das Wetter hatte wieder umgeschlagen) die romantische Komödie Friends With Benefits gezeigt wurde.


Donnerstag, 4. August 2011

Locarno – Tag 1


Am 64. Filmfestival Locarno – Mittwoch, 3. August

Ich möchte dieses Mal vor allem die Bilder sprechen lassen:



Es hatte gerade aufgehört zu regnen, als ich um ca 17:00 auf dem Festivalgelände eintraf. Ich war relativ spät dran, da ich das Festival ja von letztem Jahr schon kannte und vor dem Abend keinen Film sehen musste.




Aufgrund des Wetters tummelten sich eher wenige Touristen und Festivalgäste auf der Piazza Grande.



Am Abend bildete sich aber trotzdem relativ früh eine Schlange von Leuten, die J. J. Abrams' Super 8, den Eröffnungsfilm auf der Piazza, sehen wollten. Ich selbst ging dann nochmals zurück in die Wohnung und kam um 21 Uhr wieder, wobei ich mit meinem Batch glücklicherweise kein Ticket brauchte und deshalb nicht anstehen musste.



Als ich am Abend auf die Piazza kam, goss es in Strömen. Das Positive daran war, dass ich so ohne Probleme einen guten Platz erlangen konnte. Und glücklicherweise hörte der Regen bald auf und es blieb über den ganzen restlichen Abend trocken.



Um 21:30 traten dann zuerst Festivalpräsident Marco Solari und Direktor Olivier Père auf die Bühne und eröffneten das diesjährige Festival. Dabei wurde viel Italienisch gesprochen, was mindestens die Hälfte des Publikums (inklusive mir) nicht verstand.



Die Retrospektive über Vincente Minelli wurde durch eine herrliche Videobotschaft von Hollywoods Urgestein schlechthin, dem 94-jährigen Kirk Douglas, eingeführt. Mit witzigen Anekdoten schilderte er, wie er Minelli bei den drei gemeinsamen Filmen erlebte.



Wesentlich kürzer fiel die Videobotschaft von J. J. Abrams aus, der sich für seine Abwesenheit entschuldigte und dem Publikum ebenso viel Spass wünschte, wie es die Crew beim Machen des Filmes gehabt habe.

Anschliessend wurde dann Super 8 gezeigt, der beim Publikum (es hatte zahlreiche Familien) sehr gut ankam – bei mir ebenso. Trotz dem Wetter lässt sich also von einem gelungenen Festivalstart sprechen!

64. Filmfestival Locarno (3. - 13. August)



So wie letztes Jahr bin ich auch heuer wieder für 10 Tage im cineastischen Süden, um das zeitgenössische Autorenkino zu ergründen. Tatsächlich bietet das diesjährige Festival neben dem "üblichen" Kunst- und Weltkino jedoch überraschend üppige Hollywood-Kost: Neben Super 8, mit dem das Festival gestern eröffnet wurde, werden etwa Drive und Cowboys & Aliens gezeigt. Ist dies die Antwort von Festivaldirektor Olivier Père auf die zunehmende Konkurrenz des mehr amerikanisch-orientierten Zurich Film Festival? Wer weiss.

Auch dieses Jahr habe ich ca 10-12 Filme übernommen, über die ich für OutNow schreibe. Die Reviews werden selbstverständlich auch hier aufgeschaltet, zusammen mit (hoffentlich) regelmässigen Erfahrungsberichten und Eindrücken vom Festival.

Tagebuch:

Kritiken:

Mittwoch, 23. März 2011

Kameradschaft (Kino Review)



Kameradschaft

Kameradschaft (1931) wurde im Zuge einer Retrospektive im Zürcher Filmpodium gezeigt.

Inhalt:

Eines Tages an der deutsch-französischen Grenze: In einem französischen Kohlenbergwerk kommt es zu einem schweren Grubenunglück. Mehr als 600 Bergleute werden dabei verschüttet. Im Bergwerk auf der anderen Seite der Grenze kehren die deutschen Arbeiter gerade von der Frühschicht zurück, als sie von dem Unglück erfahren. Einer von ihnen, Wittkopp, kann die deutschen Kumpels davon überzeugen, dass sie solidarisch mit den französischen Arbeitern sein müssen. Er stellt einen Rettungstrupp zusammen und erhält die Erlaubnis von der Direktion nach Frankreich zu fahren, um dort zu helfen. Unter dem Kommando des Obersteigers fahren sie mit ihren LKWs los. Doch die Zeit drängt.
(frei nach Wikipedia)

Kritik:

Falls einem heutigen Kinogänger der Name Georg Wilhelm Pabst noch ein Begriff ist, dann ist das höchstwahrscheinlich Quentin Tarantino zu verdanken. Dieser hat den legendären deutschen Regisseur nämlich in Inglourious Basterds mehrfach erwähnt, in erster Linie in Zusammenhang mit seinem Stummfilm Die weisse Hölle von Piz Palü. Berühmt war G. W. Pabst jedoch weniger für pathetische Bergfilme, sondern für eine realistisch-sozialkritischen Tonlage, die geradezu konträr zu den Filmen steht, welche Piz-Palü-Hauptdarstellerin Leni Riefenstahl später für die Nazis drehte (Triumph des Willens, Olympia).
Bekannt ist Pabst unter anderem für das radikal pazifistische Werk Westfront 1918, das sein erster Tonfilm darstellte. Politisch gesehen stand er damit 1930 bereits auf verlorenem Posten: Das Projekt der deutsch-französischen Verständigung, welches in den 20ern von den beiden Aussenministern Briand und Stresemann initiiert worden war, und damit eine friedliche Revision des Versailler Vertrags war gescheitert. Sowohl die Dritte Republik in Frankreich als auch die Weimarer Republik in Deutschland hatten keine Mehrheit der Bevölkerung mehr hinter sich und wurden von erstarkenden radikalen Kräften in die Zange genommen – den Kommunisten einerseits und den Nationalsozialisten anderseits.

Vor diesem Hintergrund scheint auch die Botschaft, die Pabst mit seinem nächsten Film Kameradschaft (der auf einer wahren Begebenheit im Jahr 1906 basiert) verkündete, ziemlich illusorisch. In höchst symbolischen Bildern sehen wir dabei, wie die deutschen Bergarbeiter, die unterirdisch auf dem Weg zu ihren verschütteten Kollegen unterwegs sind, ein Gitter durchbrechen, das die Landesgrenze der ehemaligen Kriegsgegner markiert und über dem „Grenze 1918“ geschrieben steht. Pabst diesen Optimismus vorzuwerfen, wäre jedoch verkehrt. Bemerkenswert ist vor allem, wie unpathetisch er an die Sache herangeht und damit der Kitschgefahr, die dem Thema sicherlich innewohnt, gekonnt ausweicht. Dabei wird nichts beschönigt oder idealisiert und beispielsweise auch nicht verschwiegen, dass trotz der deutschen Hilfe die allermeisten Verschütteten nicht überlebten.
Der Film schreckt somit auch vor (für die damaligen Verhältnisse) drastischen Darstellungen nicht zurück. Die Klaustrophobie und der Schrecken im eingestürzten Stollen wird unglaublich hautnah inszeniert, wobei in erster Linie die grandiosen Setbauten und die expressionistisch anmutende Lichtgestaltung ins Auge stechen. Die fantastische Kameraarbeit von Robert Baberske und Fritz Arno Wagner ist noch ganz der Stummfilm-Tradition verpflichtet und lehnt sich stark an die Fotographie-Bewegungen der 20er an. Dagegen ist die Tonspur natürlich noch ziemlich unausgereift und nicht mit der Komplexität und Intensität moderner Klangwelten vergleichbar. Der Vorteil daran ist, dass sich Kameradschaft im Gegensatz zu anderen frühen Tonfilmen, die oft einen Rückschritt zum „abgefilmten Theater“ darstellten, grösstenteils auf die Bildspur konzentriert – der Film wäre im Grunde ohne den Ton absolut verständlich. Gesprochen wird übrigens in den Originalsprachen, also abwechselnd Deutsch und Französisch.

Überhaupt ist der Film sehr realistisch gehalten und steht damit im krassen Gegensatz zu den hyper-eskapistischen Tonfilmoperetten wie Der Kongress tanzt (mit Lilian Harvey), welche im selben Jahr die Massen ins Kino lockten. Bezüglich der Nähe, die der Film zu seinen Figuren entfaltet, und der – man darf es schon so sagen – moralisch ehrenvollen Absicht kann Kameradschaft gar als Vorgänger des Neorealismus gesehen werden, welcher nach dem Krieg in Italien Furore machen sollte.
Wie viele neorealistische Filme auch wurde Kameradschaft übrigens von den Kritikern des öfteren in die sozialistische Ecke gestellt. Diese Interpretation ist auch durchaus naheliegend, schliesslich erinnert die im Film gezeigte Solidarität zwischen den Bergarbeitern an Lenins zeitgenössische Forderung nach einem vereinten internationalen Proletariat. Bei genauerer Betrachtung erweist sich dieser Vergleich jedoch als konstruiert: Der gemeinsame Feind, gegen den sich die Männer in Kameradschaft verbünden, ist das Gas und der Krieg („le gaz et la guerre“), nicht das kapitalistische System. Ausserdem steht Pabst nichts ferner, als sozialistische Propaganda der Marke Eisenstein zu betreiben. Stattdessen möchte er eine dramatische, emotionale Geschichte erzählen, die einem tiefen Humanismus und keinem Parteiprogramm verpflichtet ist.
Dies gelingt ihm auch: In der schönsten Szene des Filmes wird ein verschütteter Franzose von einem deutschen Mitglied des Rettungstrupps gefunden. Der entkräftete, halb wahnsinnige Mann bekommt angesichts des deutsch sprechenden Mannes in Schutzuniform Panik, da er – zurückgeworfen in seine Erinnerung – vor sich plötzlich einen deutschen Soldaten in Gasmaske sieht, der im Schützengraben mit erhobener Waffe auf ihn zugestürmt kommt. Wie sich der Franzose in seinem Wahn auf den vermeintlichen Feind stürzt und ihn beinahe erwürgt, bis dieser seine Maske lüftet und dahinter ein menschliches Gesicht zum Vorschein kommt – das ist ganz grosses Kino.

aufgerundet ca. 9 von 10 Punkten

Samstag, 5. März 2011

Snowman's Land (Kino Review)



Snowman's Land

Inhalt:

Walter (Jürgen Rissmann) hat Probleme mit seinem Job. Hätte er eine normale Arbeit, wäre es wahrscheinlich kein Problem, mal einen Auftrag zu vermasseln - Walter aber ist Auftragskiller. Der ungeliebte Angestellte wird also von seinem Vorgesetzten für einen "Spezialauftrag" zum Gangsterboss Berger (Reiner Schöne) geschickt, welcher zufälligerweise in einer Villa in den Bergen weit im Osten residiert.
Unterwegs durch endlose Schneewälder trifft Walter seinen alten Bekannten Micky (Thomas Wodianka), ebenfalls auf dem Weg zu Berger. Bald kommt das ungleiche Paar bei der besagten Villa an, nur um zu erfahren, dass der Hausherr nicht zugegen ist. Überhaupt entwickelt sich die Sache ganz anders, als es sich Walter vorgestellt hat.

Kritik:

Schwarzhumorige Komödien über Auftragskiller sind nicht unbedingt die Art von Filmen, für die Deutschland berühmt ist. Als Debüt einen solchen Film zu machen, war also eine ziemlich mutige Entscheidung von Tomasz Thomson, auch wenn oder gerade weil er dafür ein sehr geringes Budget in Kauf nehmen musste. Die geringen finanziellen Mittel merkt man Snowman's Land jedoch kaum an, weshalb Thomson umso mehr Respekt verdient.

Beginnen wir also mit den positiven Aspekten: Sympathisch an Snowman's Land ist sicherlich auch, dass man dem Film anmerkt, wie gut die Stimmung am Dreh war. Die Schauspieler hängen sich so richtig rein und zeigen von Eva-Katrin Hermann über Reiner Schöne bis hin zu Hauptdarsteller Jürgen Rissmann - herrlich atypisch besetzt - überzeugende Leistungen.

Ebenfalls punkten kann Thomson mit einer für ein Erstlingswerk überaus gelungenen Inszenierung. Bereits die Drehorte sind sehr geschickt gewählt, in erster Linie der Hauptschauplatz, Bergers Villa, für die ein leerstehendes Sanatorium im Schwarzwald herhalten musste. Das verwinkelte Gebäude in Kombination mit der mystischen, bedrohlichen Schneelandschaft schafft eine dichte Atmosphäre, die gar Assoziationen mit The Shining weckt. Doch nicht nur das Setdesign, sondern auch die Kamera ist stilsicher und auf hohem Niveau.

Bezüglich dem Genre wird sich der Fan bei Snowman's Land sofort an die Filme von Quentin Tarantino und Guy Ritchie erinnern, und auch eine Prise Fargo ist deutlich zu spüren. Das ist sehr abwechslungsreich, mit einigen unerwarteten Wendungen angereichert und in der deutschen Kinolandschaft ein erfrischend ungewohnter und durchaus eigenwilliger Beitrag. Leider erweist sich Thomson als besserer Regisseur denn Drehbuchautor. Die Dialoge sind manchmal recht klobig, die Erzählstimme führt mehr schlecht als recht durch den Film, und teilweise hängt der Film - vor allem in der zweiten Hälfte scheint sich Thomson etwas verlaufen zu haben, und der Schluss vermag nicht so recht zu überzeugen. Solche Schwächen sind für ein Erstlingswerk jedoch durchaus verzeihbar - sein Potential hat Thomson auf jeden Fall bewiesen.

Snowman's Land ist eine schwarze Komödie in einer weissen Berglandschaft, welche mit einem besseren Drehbuch das Zeug zum Kultfilm vom Format eines In Bruges gehabt hätte. Doch auch so ist ein frisches, unkonventionelles und unterhaltsames Stück Kino dabei herausgekommen.

abgerundet ca. 7 von 10 Punkten

Sonntag, 6. Februar 2011

Jahresrückblick 2010



Nach der Devise "besser spät als nie" hier der Rückblick auf das Kinojahr 2010, wie immer in Form einer Top 10:


Ich würde nicht soweit gehen und 2010 als ein "schlechtes" Kinojahr bezeichnen, doch es war sicherlich höchst mittelmässig. Vergleich man etwa mit 2008, als die Masse an grandiosen Filmen eine Top 10 sprengten, so erreicht nur etwa die erste Hälfte der diesjährigen Top 10 dieses Niveau. Dennoch gab es auch dieses Mal viele gute, spannende Filme, auch wenn eher im kleineren Rahmen. Immerhin haben es Leonardo di Caprio und Nicolas Cage mit je zwei Filmen in die Top 10 geschafft (Inception/Shutter Island und Kick-Ass/Bad Lieutenant). Natürlich gibt es auch einige Filme, die ich verpasst habe, die aber vermutlich gute Chancen auf einen Podestplatz gehabt hätten - beispielsweise L'illusionniste.

Höhepunkte des Kinojahres waren sicherlich auch das 63. Filmfestival Locarno und das 6. Zürich Film Festival, wobei das Programm von Letzterem jedoch mehr überzeugte. Ihnen ist es sicherlich auch zu verdanken, dass die Liste der Filme, die ich 2010 gesehen habe, im Vergleich zu den Vorjahren drastisch zugenommen hat, nämlich auf insgesamt über 60 Filme. Da sich darunter zwar nicht allzu viele herausragende, aber zahlreiche überaus sehenswerte Filme befinden, hier die vollständige Liste (nur ungefähr geordnet):

Ehrenplätze:
  • Snowman's Land
  • El secreto de sus ojos
  • The Town
  • A Serious Man
  • Sennentuntschi
  • Das letzte Schweigen
  • Die Hummel
  • The Ghost Writer
Sehr empfehlenswert:
Sehenswert:
  • Ponyo
  • The Road
  • Buried
  • 180°
  • Robin Hood
  • The Crazies
  • Invictus
  • Rammbock
  • Cyrus
  • Sherlock Holmes
  • A Single Man
  • Alice in Wonderland
  • Harry Potter and the Deathly Hallows - Part 1
  • The Expendables
  • Vergebung
Mittelmass/Enttäuschungen:

Samstag, 29. Januar 2011

Tron (DVD Review), Tron: Legacy (Kino Review)



Tron (1982) vs. Tron: Legacy (2010)

Es war einmal im Jahre 1982: Die Zeit, als man die Gewichtsangabe einer HD noch mit ihrem Speicherplatz verwechseln konnte und als in Star Wars das erste animierte Drahtgittermodell auf der Leinwand zu sehen war, ist noch frisch in Erinnerung. Da bringt Disney einen seltsamen Film ins Kino, der praktisch ausschliesslich in einer obskuren Computerwelt spielt und aussieht wie ein Arkade-Videospiel: Tron.
Gut 30 Jahre später: Terabyte-HDs bekommt man praktisch nachgeworfen, dass ein ganzer Computer in die Hosentasche passt ist geradezu selbstverständlich geworden und alle Welt ist noch berauscht von Avatar, mit dem die Grenze zwischen Realaufnahmen und CGI endgültig verschwunden ist. Da bringt Disney unter grossem Marketing-Tamtam die Fortsetzung eines seltsamen Science-Fiction-Films aus den 80ern ins Kino. Ein heikles Unterfangen: Finanziell war der Originalfilm nicht gerade ein Erfolg und von den Massen, welche man mit Tron: Legacy ins Kino locken will, kennt ihn sowieso nur ein Bruchteil. Nichtsdestotrotz oder gerade deswegen hat Disney eine Riesensumme in den Erstling von Joseph Kosinski (der Macher des Originals, Steven Lisberger, fungiert als Produzent) gepumpt und setzt auf erstklassige Computereffekte, welche natürlich gemäss dem state of art in mindblowing 3D präsentiert werden.

Handelte Tron vom Hacker Flynn, der in den Cyperspace entführt wird und dort gegen eine übermächtige KI ankämpfen muss, so erzählt Tron: Legacy die Geschichte seines Sohnes, der das Verschwinden des Vaters aufklären will und dabei ebenfalls in der Computerwelt landet.

Die Neuauflage hat im Prinzip genau drei Dinge zu bieten: Die Musik, die Effekte und das Design. Das Erste ist Daft Punk zu verdanken, welche für den Soundtrack engagiert wurden. Das Zweite ist eine reine Frage des Geldes, woran es wie gesagt nicht mangelte. Und das Dritte geht größtenteils auf die Kappe des Originals, denn Tron: Legacy wirkt oft mehr wie ein Remake denn eine Fortsetzung. Schwer zu sagen, ob es dabei an Kreativität oder an Mut fehlte, jedenfalls hat man sich damit begnügt, die Computerwelt des Originals optisch aufzumotzen und ihr den neusten CGI-Schliff zu verpassen, statt sie weiterzudenken, weiterzuentwickeln und der heutigen technologischen Situation anzupassen. Hinweise auf aktuelle Diskussionen und Problembereiche beschränken sich auf eine kleine Einbindung der open-source-Idee zu Beginn, die jedoch nicht weiter verfolgt wird. Schade, hätte das Original dazu doch eine Steilvorlage dargestellt – schliesslich ging es in dem Film darum, dass die Programme von der Tyrannei des Master Control Program befreit werden und sich frei mit ihren Usern verbinden können. Auch die Eskapismusgefahr, die mit den heutigen Videospielen bekanntlich enorm angestiegen ist, liesse sich im Tron-Universum hervorragend thematisieren. Stattdessen setzt uns Tron: Legacy die krude Geschichte von einer Gruppe „selbsterzeugter Programme“ vor; eine Art auserwähltes Volk mit magischen Kräften, welches alle Probleme dieser Welt lösen soll, aber vom Bösewicht – auch hier wieder eine Super-KI, diesmal aber in Gestalt von Flynn Seniors alter ego – niedergemetzelt wurde.

Mann muss ehrlich sein: Der original Tron hat auch nicht gerade den Oscar fürs beste Drehbuch verdient. Er bot eine verwurstelte, nicht besonders überzeugende Rahmenhandlung (ein Fehler, den die Fortsetzung geradewegs wiederholt), die aber im Prinzip völlig irrelevant wird, sobald Flynn den Cyberspace betritt (ebenso in der Fortsetzung). In diesem Moment beginnt die eigentliche Geschichte, nämlich im Grunde ein klassisches Fantasy-Abenteuer inmitten einer digitalen abstrakten Formenwelt.
Und irgendwie funktioniert die Sache. Charakterentwicklungen und –konflikte werden zwar nur sehr begrenzt geboten, doch der junge Jeff Bridges schafft es mit seiner lockeren und frechen Art, die Sympathien auf seine Seite zu ziehen. Bereitwillig folgen wir ihm wie Alice ins Wunderland, wo er sich mit allerlei Schergen des bösen Imperiums herumschlagen muss, ein schwebendes Bit als Side-Kick erhält und im Zuge seiner epischen Reise sogar bei einem magischen Brunnen Halt macht. Während die mythischen Elemente in der Fortsetzung einen Bruch mit der ultramodernen Optik darstellen, so sind sie hier allgegenwärtig und bilden geradezu ein Grundstein der Computerwelt. Die Idee, eine klassisch aufgebaute, geradezu märchenhafte Welt mit einem futuristischen Design umzusetzen, ist nicht unbedingt neu (das selbe fand auch im ersten Star Wars statt), funktioniert in Tron dennoch ziemlich gut.

Es schmerzt beinahe, zu sehen wie in Tron: Legacy die Storyelemente des Originals reclyclet werden, jedoch ohne Liebe und Gespür für den Erzählfluss. Statt eine spannende Geschichte zu erzählen werden bombastische Actionszenen (die schnell öde werden, weil man nicht mitfiebert) aneinandergereiht und hin und wieder von „einfühlsamen“ Dialogen unterbrochen, die man halt auch irgendwo unterbringen musste. Diese „tiefgründigen“ Szenen funktionieren nicht, weil jede Figur im Film matt und uninteressant ist und weil mit stumpfen Standartfloskeln versucht wird, den Konflikten eine Aura von Wichtigkeit zu verpassen. Dazu kommt das bereits erwähnte „philosophische“ Geschwafel von Schicksal und Bestimmung.
Jeff Bridges als Quasi-Jedi-Meister hat nicht viel mehr zu tun als mit ehrwürdiger Haltung und ernster Miene in der Gegend herumzustehen oder zu meditieren, manchmal auch beides. Garrett Hedlund bietet als Flynn Jr. eine ebenso grandiose Leistung wie in Troy – er ist ein charakterloser Nobody, der sich ständig in brenzlige Situationen bringt, diese aber überraschenderweise alle mit Bravour meistern kann. Da zu keinem Zeitpunkt Zweifel am guten Ausgang der Geschichte aufkommen und da sich die Gegner eher durch Unfähigkeit denn durch Gefährlichkeit auszeichnen, kommt im ganzen Film kaum Spannung auf.

Keine Frage, die Effekte in Tron: Legacy sind atemberaubend und der Film bietet das vielleicht tollste 3D-Erlebnis seit Avatar. Im Gegensatz zu Pandora scheint bei der Erschaffung jedoch keinerlei Liebe im Spiel gewesen zu sein, denn die Welt wirkt kalt und charakterlos. Alles ist schnell, stylisch und könnte von Steve Jobs höchstpersönlich designt sein, gegen den Charme der klobigen Drahtgittermodelle von 1982 kommt das Ganze aber irgendwie nicht an. Natürlich hat Tron hier einen starken Nostalgiebonus, da die verwendete Kombination von einfachen Computeranimationen mit aufwändig nachbearbeiteten Realaufnahmen rückblickend ein recht skurriles Beispiel für eine in Kinderschuhen steckende Technik darstellt. Nichtsdestotrotz haben die Bilder noch heute einen starken Reiz und es fällt nicht schwer, sich vorzustellen wie wegweisend sie vor 30 Jahren waren – während die Computertechnik in Tron: Legacy lediglich teuer und aufwändig, jedoch nicht im geringsten innovativ ist. Der Mut für Experimente scheint Disney im Laufe der Jahre abhanden gekommen zu sein.

Der Unterschied zwischen Tron und Tron: Legacy ist im Grunde der selbe wie zwischen Star Wars und Star Wars: The Phantom Menace: Teil 1 bot eine neue, fantastische Welt voller witziger Details, hatte einen sympathischen Hauptdarsteller und war technisch nicht perfekt, aber bahnbrechend umgesetzt. Teil 2 erzählt eine langweilige Geschichte, enthält Wachsfiguren statt echten Schauspielern und ist technisch makel- und lieblos umgesetzt. Aber immerhin ist da ja noch Daft Punk.

Tron (1982): aufgerundet ca. 8 von 10 Punkten
Tron: Legacy (2010): aufgerundet ca. 6 von 10 Punkten


Weitere Bilder zu Tron:







Mittwoch, 26. Januar 2011

God No Say So (Kino Review)



God No Say So

Der Film wurde im Rahmen der 46. Solothurner Filmtage gezeigt.

Inhalt:

Der Bürgerkrieg in Sierra Leone stellt ohne Frage eines der düstersten Kapitel der Menschheitsgeschichte dar. Er begann in den frühen 90er, dauerte über 10 Jahre und forderte zehntausende zivile Todesopfer. Der Hauptkonflikt spielte sich zwischen der Rebellenorganisation RUF und den Regierungstruppen ab, im Verlaufe des Krieges griffen jedoch auch Söldnertruppen, die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS und UN-Blauhelme ein.

Was dieses gewaltige Chaos für die Zivilbevölkerung bedeutete, versucht Brigitte Uttar Kornetzky in ihrem Dokumentarfilm God No Say So zu ergründen. Zu diesem Zweck bereiste sie das Land und liess überall die Leute von ihren Kriegserlebnissen berichten. Ein Schwerpunkt liegt dabei in der Praxis der RUF, den Zivilisten die Hände abzuhacken, um sie symbolisch von der Teilnahme an den Wahlen abzuhalten. Kornetzky begegnet aber nicht nur Trauer und Schrecken, sondern auch Optimismus, sei bei Schulkindern oder bei einer Prostituierten.

Kritik:

Die Thematik des Bürgerkriegs in Sierra Leone wurde erst vor wenigen Jahren mit Blood Diamond massengerecht aufbereitet. Einen geradezu entgegengesetzten Ansatz vertritt God No Say So, welcher gänzlich auf eine Dramatisierung des Gezeigten verzichtet und statt dessen auf menschliche Nähe setzt. Dies gelingt Kornetzky, die den Film praktisch im Alleingang hergestellt hat, indem sie behutsam an die porträtierten Personen herangeht und sie ausführlich zu Wort kommen lässt. Auch die Kameraarbeit ist sehr schlicht und der Film besteht in erster Linie aus Interviews und „Stimmungsbildern“, welche das noch heute sehr arme Leben der Bevölkerung einfangen.

Das grosse Problem des Filmes besteht darin, dass Kornetzky die technischen und erzählerischen Elemente geradezu systematisch vernachlässigt. Dies beginnt damit, dass das ganze Material scheinbar von einem kleinen Camcorder von der Hand aus gefilmt wurde. So gross der Vorteil dessen auch sein mag – die Personen sprechen offen und ungehemmt – die Perspektive, die dem Zuschauer eröffnet wird, ist dadurch stark eingeschränkt. Visuell interessant sind die meisten Aufnahmen auch nicht, sondern scheinen oft mehr „aufs Geradewohl“ gefilmt. Ein wirklich hautnahes Gefühl, an Ort und Stelle in Sierra Leone zu sein, kommt somit nicht auf.

Auch der Schnitt, traditionell das wirkungsvollste Werkzeug des Dokumentarfilms, fällt bei God No Say So dürftig aus. Im Prinzip werden die Episoden lediglich aneinandergereiht, ohne dass ein grosses erzähltechnisches Konzept zu erkennen wäre. Es gelingt nicht, die einzelnen Geschichten – so eindrucksvoll sie auch sein mögen – zu einem grossen Ganzen zu verknüpfen, wodurch der Film nur eine begrenzte innerliche Spannung aufbauen kann. Nicht besonders hilfreich ist auch der Musikeinsatz, der ziemlich ungeschickt und abgehackt ausfällt.

God No Say So
ist ein Dokumentarfilm, dessen humanistische Absicht zwar allgegenwärtig ist, der im Endeffekt aber nicht über das Aufzählen von Kriegsgreueln hinauskommt. Sucht man überzeugende Afrika-Dokus, ist man zum Beispiel mit Das Schiff des Torjägers besser beraten. Als Einführung in die Thematik Sierra Leone eignet sich die Hollywood-Variante Blood Diamond dann doch irgendwie besser.

ca. 5 von 10 Punkten

Machete Maidens Unleashed! (Kino Review)



Machete Maidens Unleashed!

Der Film wurde im Rahmen des 6. Zurich Film Festival gezeigt.

Inhalt:

Bis in die 60er Jahre hatte im Westen wohl noch kaum einer je davon gehört, dass die Philippinen eine der produktivsten Filmnationen der Welt waren. Das änderte sich, als es in den 70er zahlreiche amerikanische Produzenten nach Südostasien zog, um dort billige Horror- und Actionstreifen zu drehen. Die Bedingungen waren dazu auch ideal, schliesslich boten die Philippinen eine grosse bestehende Filmindustrie, verlockende Schauplätze, kaum staatliche Richtlinien und vor allem kostengünstige Arbeitskräfte. So entstanden in dieser Phase zahlreiche der sogenannten Exploitation-Filme, die mit allzu leicht durchschaubaren Mitteln versuchten, das Interesse des Zuschauers zu wecken.

In diesem Dokumentarfilm kommen die damaligen Regisseure und Schauspieler(-innen), aber auch Filmhistoriker und -kritiker zu Wort. Augenzwinkernd erzählen sie über diese Blütezeit des B-Movies, streuen Anekdoten ein und können manchmal gar nicht glauben, gewisse Dinge damals wirklich getan zu haben. Ein kickboxender Zwerg ist längst nicht das Skurrilste, das dabei zum Vorschein kommt.


Kritik:

2007 drehten Quentin Tarantino und Robert Rodriguez mit Grindhouse eine Hommage an die Exploitation-Filme der 70er und 80er. Rodriguez hat seither mit Machete noch einmal nachgelegt und es scheint tatsächlich so, als würden sich die trashigen Gewalt- und Erotikstreifen wieder zunehmender Beliebtheit erfreuen. Mark Hartleys Dokumentation Machete Maidens Unleashed! erscheint somit gerade zur richtigen Zeit.

Der Aufbau des Filmes ist grob chronologisch gegliedert und thematisiert nebenbei die Entwicklung des Filmschaffens vor dem Hintergrund der politischen Situation der Philippinen. Die einzelnen Zeitabstände sind wiederum thematisch unterteilt, es werden also in erster Linie die verschiedenen Untergenres und einige ihrer führenden Exponenten vorgestellt. Wir erfahren beispielsweise, dass es im Subgenre Women in prison films eine eigene Richtung der Jungle prison films gibt, welche bevorzugt von Frauen handeln, die in einer diktatorischen Bananenrepublik aus einer sadistischen Gefangenenanstalt fliehen müssen. Kleidung ist in dieser tropischen Hitze selbstverständlich eher überflüssig. So wird etwa The Big Bird Cage mit dem späteren Jackie Brown-Star Pam Grier und vom B-Movie-Meister Roger Corman folgendermassen angepriesen: Women so hot with desire they melt the chains that enslave them!

Neben den beiden oben Erwähnten kommen unter anderem auch John Landis und Sid Haig (The Devil's Rejects) ausführlich zu Wort. Besonders interessant ist der Teil über Apocalypse Now, welcher ebenfalls zu dieser Zeit in den Philippinen gedreht wurde. Die Situierung im Kontext der B-Movie-Industrie wirft dabei neues Licht auf die - bekanntermassen desaströse - Produktionsgeschichte des Filmes. Ansonsten mag Machete Maidens Unleashed! allerdings für Exploitation-Fans abgesehen von der Bedeutung des besonderen Drehortes wenig Neues zu bieten haben. Auch formal sticht der Film nicht heraus, besteht er doch vor allem aus Interviews, die mit einer eineinhalbstündigen Trailerschau der erwähnten Filme unterlegt ist. Wer allerdings in erster Linie den Anspruch hat, einen Überblick im Schnelldurchlauf zu erhalten, ist auf jeden Fall bestens bedient.

Voraussetzung gibt es eigentlich nur eine: Seltsamen Humor. Wer nämlich über diese abstrusen, meistens unfreiwillig komischen Filme, die rosaroten Blutfontänen und Pappmaché-Monster nicht lachen kann, ist ohne Frage fehl am Platze. Auch eine Prise Nostalgie schwingt in vielen Interviews mit, wenn sich derjenige zurückerinnert an die Zeit, als die Filme keine Rechtfertigung brauchten, um die Protagonistin den halben Film mit nacktem Oberkörper herumrennen zu lassen, und als es keine Hemmungen gab, noch so reisserisch um die Aufmerksamkeit des Zuschauers zu buhlen. Unübertroffen ist zum Beispiel die Tagline von Vampire Hookers:

BLOOD ISN'T THE ONLY THING THEY SUCK!


ca. 7 von 10 Punkten

Einmal mehr als nur reden (Kino Review)



Einmal mehr als nur reden

Der Film wurde im Rahmen des 6. Zurich Film Festival gezeigt.

Inhalt:

Nachdem das mittelamerikanische Nicaragua 45 Jahre vom diktatorischen Somoza-Clan regiert worden war, kam es 1977 zu einem landesweiten Bürgerkrieg, der zwei Jahre später in der Machtergreifung der kommunistisch-revolutionären Sandinistas mündete. Von da an führte die USA unter Ronald Reagan Bestrebungen durch, die neue Regierung zu stürzen, indem sie die somozische Guerilla militärisch und finanziell unterstützte.

Dies führte wiederum zu einer Welle weltweiter Sympathisierung von linken Aktivisten mit Nicaragua. Im Zuge dieser Euphorie entstand im Jahr 1984 die Arbeitsbrigade "Februar 34", die aus fünzig Österreichern bestand, die sich in den tiefen Dschungel im Süden des Landes begaben, um dort bei der Errichtung von Infrastruktur-Einrichtungen zu helfen. Das Credo der jungen Frauen und Männer: Einmal mehr als nur reden!

Kritik:

Der Dokumentarfilm von Anna Katharina Wohlgenannt rekonstruiert anhand zahlreicher Interviews mit den damaligen Teilnehmern und ausführlichem Archivmaterial die Ereignisse im Februar 1984, während dem die Brigade in Nicaragua weilte. Dabei entfaltet sich dem Zuschauer bald ein viel differenzierteres Bild als die naheliegende Ansicht, dass es sich hier lediglich um ein unüberlegtes Unterfangen von fünfzig naiven Friedensaktivisten handelte. Dies trifft sicher in vielerlei Hinsicht zu, doch schon das Spektrum der Teilnehmer reichte erstaunlich weit: Von linkskonservativen Hardlinern über engagierte Maoisten bis hin zu Mitgliedern einer katholischen Jugendbewegung - alles war vorhanden. Rückblickend erzählen diese Menschen einerseits detailliert über Ablauf des Unternehmens und die Schwierigkeiten, die sich angesichts der fremden Kultur und dem tropischen Klima ergaben. Anderseits schildern sie unverkrampft die Träume, Ideale und politischen Weltanschauungen, die sie zu dieser Reise bewegten.

Interessanterweise spürt man bei vielen auch heute noch die Bestürzung darüber, dass die Zeit der Revolution in Nicaragua nach gut zehn Jahren bereits wieder vorüber war und dass aus der sozialistischen Weltrevolution schlussendlich nichts wurde. Tatsächlich war die Einstellung vieler österreichischen Aktivisten gegenüber den Verhältnissen in Nicaragua anfangs nicht nur naiv, sondern auch ziemlich arrogant. Man ging mit der Einstellung nach Mittelamerika, den "armen Eingeborenen" dort beibringen zu müssen, wie eine soziale Revolution gemacht wird. Es gab jedoch durchaus Teilnehmer, die nicht nur Revolution "spielen" wollten, sondern ernsthafte politische Veränderungen bewirken wollten und ihre Meinung diesbezüglich bis heute nicht geändert haben.

Die Regisseurin fängt dies alles ein, ohne einen Kommentar oder gar eine Wertung abzugeben. Stattdessen entfaltet sich ein ausführliches Zeitdokument, welches der Gefahr der Heroisierung nicht ganz entgeht, auch wenn das Urteil grösstenteils dem Zuschauer selbst überlassen wird. Einmal mehr als nur reden ist ein persönliches und facettenreiches Portrait der letzten sozialen Utopie des 20. Jahrhunderts.

ca. 7 von 10 Punkten


Vielleicht in einem anderen Leben (Kino Review)



Vielleicht in einem anderen Leben

Der Film wurde im Rahmen des 6. Zurich Film Festival gezeigt.

Inhalt:

Österreich, 1945: Während der Feind bereits vor der Tür steht, werden noch immer massenweise Juden in Konzentrationslager deportiert. Eine Truppe sitzt in einem kleinen Dorf fest, da die Befehlskette der SS gerissen ist. Notdürftig werden die gut ein Dutzend Juden in einer Scheune untergebracht, wo sie hungrig und niedergeschlagen ausharren.

Da kommt einer der Juden, ein ehemaliger Opernsänger aus Budapest, auf die Idee, in der Scheune eine Operette aufzuführen. Anfangs halten es die Anderen für eine reine Spinnerei, doch der Sänger kann sie überzeugen, dass etwas Musik gerade an so einem Ort bitter Not tut. Mit der Hilfe einer Bäuerin (Ursula Strauss) und ihrer Magd tragen sie nach und nach alles zusammen, was für die Aufführung nötig ist. Doch der Mann der Bäuerin (Johannes Krisch) bekommt bald Wind von der Sache.

Kritik:

Keine Frage, der österreichische Film hat Hochkonjunktur. Drei Jahre in Folge waren die Ossis im Rennen um den Oscar für den besten fremdsprachigen Film vertreten, mit Die Fälscher gewannen sie sogar. In diesem Zusammenhang scheint Vielleicht in einem anderen Leben von Elisabeth Scharang auf den ersten Blick prädestiniert für eine Oscar-Nomination - handelt der Film doch ebenfalls vom (bei der Academy beliebten) Nazi-Thema und porträtiert wie schon Das weisse Band das nur oberflächlich idyllische Leben in einem bäuerlichen Dorf.

Warum gelingt es dem Film nicht einmal annähernd, die Qualität der eben genannten Werke zu erreichen? Das hat mehrere Gründe: Wir erhalten etwa keinerlei Gefühl für das Dorf als abgeschlossener Mikrokosmos, wie es in Das weisse Band so akribisch genau in Szene gesetzt wurde. Das Dorf und insbesondere die Scheune sind lediglich die Kulisse für die überaus konstruierte Story. Es scheint, als habe der Versuch, den der Story zugrundeliegenden Theaterstoff in Filmform umzugiessen, hier nicht wirklich geklappt.

In diesem starren Rahmen fliesst die Handlung ebenso zäh dahin. Nicht, dass ein gemächliches Erzähltempo aus Prinzip anzukreiden wäre, aber hier wird dem Zuschauer wirklich sehr wenig Überraschendes oder gar Packendes geboten. Zwar können sowohl der Anfang als auch der Schluss punkten, zwischendrin macht sich jedoch teilweise gähnende Langeweile breit. Diese kann der Film auch nicht durch etwaige visuelle Schauwerte kompensieren, da einerseits die Inszenierung absoluter Durchschnitt ist und anderseits für grosse Kulissen und Ähnliches schlicht kein Geld vorhanden war.

Geradezu ärgerlich ist der Film insofern, als die meisten Figuren reine Klischees sind: Klar, wir haben auf der einen Seite den rassistischen Vater und auf der anderen Seite die gutherzige, aber unterdrückte Ehefrau. Charaktere werden auf einige wenige Eigenschaften festgelegt, und wenn denn eine Figur eine Entwicklung durchmacht, wirkt sie viel zu überstürzt. Überhaupt mag das ganze Szenario auf der Bühne noch funktionieren, wirkt im Film jedoch schlicht unglaubwürdig: Die Juden sitzen den ganzen Tag in der Scheune herum, haben nichts anderes zu tun als eine Operette aufzuführen, und praktisch jeder scheint einfach rein und raus spazieren zu können. Was die SS-Truppe, welche die Juden begleitete, den lieben langen Tag lang macht, erfährt man ebenfalls nicht; Auf jeden Fall scheinen sie etwas Wichtigeres zu tun haben als ihre Gefangenen zu bewachen.

Am Ende macht es sich der Film mit der Thematik viel zu einfach: Es wird so dargestellt, als wäre der Antisemitismus nur ein oberflächlicher Irrtum einiger böser Männer, der durch Vernunft und Menschlichkeit in Sekundenbruchteil widerlegt werden kann. Dabei wird verschwiegen, dass rassische Vorurteile in der deutschsprachigen Gesellschaft sehr viel tiefer verwurzelt sind und weder erst mit den Nazis begannen, noch mit Hitlers Tod aufhörten. Statt tiefer in der Mentalität der Dorfgemeinschaft zu graben, wie es Das weisse Band getan hat, ist Vielleicht in einem anderen Leben schlicht ein Gutmenschen-Film, der uns nichts Neues über das Thema zu erzählen weiss.

ca. 4 von 10 Punkten


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