Sonntag, 1. Juni 2008

Die Welle (Kino Review)




Die Welle


"Auf keinen Fall. Dazu sind wir viel zu aufgeklärt", antwortet ein Schüler auf die Frage des Lehrers, ob im heutigen Deutschland noch eine Diktatur möglich wäre. Rainer Wenger hat die Aufgabe, mit den Schülern eine Projektwoche zum Thema Autokratie zu machen, und ihn langweilt das genauso wie die Jugendlichen. Als Wenger, ein etwas unkonventioneller Lehrer, die Schüler so reden hört, beschliesst er kurzum, ein ganz spezielles Projekt zu starten: Die Schüler sollen selbst eine Diktatur nachspielen; am eigenen Leib erfahren, was Disziplin und Einheit bedeutet. Sehr bald sind die Jungs und Mädchen begeistert dabei und lernen die Vorzüge davon kennen, was es heisst, eine Gruppe und Gemeinschaft zu sein. Doch es dauert auch nicht lange, bis das Ganze aus dem Ruder gerät und weit mehr wird als nur ein Spiel.

1967 führte in der USA ein Geschichtslehrer tatsächlich ein solches Experiment durch und daraus enstand Todd Strassers berühmtes Jugendbuch "The Wave", das in den 80ern schonmal verfilmt wurde. Dennis Gansel (Napola) hatte keine leichte Aufgabe, als er sich daran setzte, aus dieser Vorlage zwanzig Jahre später einen aktuellen, deutschen Film zu machen.
Die erste und wichtigste Nachricht: Die Welle funktioniert. Der Film erfüllt seine Aufgabe voll und ganz, indem er es fertig bringt, die Story frisch und modern zu präsentieren, sodass sie die jugendliche Zielgruppe anspricht. "Ansprechen" ist allerdings beinahe untertrieben. Denn dank einer ausgezeichneten Regiearbeit wird der Zuschauer bis zur letzten Minute gefesselt und fiebert richtig mit. Das Tempo ist zackig, aber keineswegs gehetzt. Die Bilder sind angenehm frisch und in passendem Farbton gehalten. Die Jungschauspieler sind passend besetzt und machen ihre Sache gut, auch wenn sie natürlich noch keine Marlon Brandos sind und von Jürgen Vogel als begeisterter Lehrer ohne grosse Probleme an die Wand gespielt werden. Die Handlung wurde absolut souverän in die heutige Zeit versetzt und mit ausreichend Aktualität versehen. Auch sonst hat das Drehbuch gute Arbeit geleistet, indem es das Kunststück geschafft hat, was vielen Literaturverfilmungen abhanden geht: Die neu hinzugefügten Szenen (und davon gibt es en masse) machen nicht den Eindruck, als wären sie neu hinzugefügt. Sie fügen sich problemlos ein ins Gesamtbild und ergeben einen runden, einheitlichen Film mit lumpenreiner Dramaturgie. Bravo.
Allerdings ist das Drehbuch auch schuld am einzigen richtigen Problem: Teilweise kommt die Glaubwürdigkeit zu kurz. Es geht beispielsweise etwas gar schnell mit der Begeisterung der Schüler und gewisse Reaktionen sind nur bedingt nachvollziehbar. Zusätzlich bergen die Charaktere ziemlich viele Klischees. Natürlich gibt es den Hauptcharakter aus zerrüttetem Familienhaus, natürlich gibt es den verzweifelten Aussenseiter (fand ich am überzogensten), natürlich gibt es den obercoolen Gangster, natürlich gibt es das argwöhnische Mädchen etc. Es kommt somit auch zu Konfrontationen und Dialogen, die den Zuschauer nicht gerade vom Hocker reissen und die man einfach schon oft gesehen hat. Am schwersten tue ich mich aber mit dem Ende:

[spoiler]

Die ganze Versammlungsszene war mir dann etwas zu viel des Guten. Wo das Buch soweit ich mich erinnere damit aufhört, dass der Lehrer allen ein riesiges Bild von Adolf Hitler zeigt, gibt sich der Film nicht mit dergleichen zufrieden und endet mit dem Ausrasten von Tim und einer anschliessenden Bluttat. Das hat auf mich etwas aufgezwungen und plakativ gewirkt. Natürlich, wenn man darüber nachdenkt, macht die Überlegung, die sich die Macher wahrscheinlich gemacht haben, durchaus Sinn: Der Film braucht noch etwas wie ein Knall zu Schluss, damit er genügend schockiert und den Zuschauer nicht so leicht davonkommen lässt. Konsequent ist es irgendwie schon. Aber trotzdem etwas unpassend und aufgezwungen, wodurch einem die Sache nicht einmal richtig nahe geht. Schade.

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Fazit: Dennis Gansels "Die Welle" reisst den Zuschauer mit und trägt ihn auf ihren Wogen durch einen schockierenden Film über ein wichtiges Thema, dem es leider zeitweise an Glaubwürdigkeit fehlt. Modernes deutsches Kino auf Zack.

abgerundet ca. 7 von 10 Punkten

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