Sonntag, 27. Dezember 2009

Avatar (Kino Review)



Avatar

Ich äusserte mich bereits an dieser Stelle - relativ kritisch - zum Trailer von Avatar, James Camerons neustem Superblockbuster. Nun habe ich den angeblich grossartigsten Film des Jahrzehnts endlich gesehen (selbstverständlich auf 3-D) und konnte mich selbst davon überzeugen, ob die neue Technik tatsächlich das Zeug zum Durchbruch hat. Um dies schon einmal vorweg zu nehmen: Das hat sie.

Handlung:
Das Jahr 2154: Die Rohstoffe der Erde sind erschöpft und die Menschen haben begonnen, in den Weiten des Alls nach Alternativen zu suchen. Auf Pandora werden sie fündig, doch der Planet ist von dichtem Dschungel überwuchert, in dem eine intelligente, humanoide Spezies namens Na'vi ist im Einklang mit der Natur lebt.
Der Ex-Marine Jake Sully, der seit einer Verletzung bei einem Kampfeinsatz von der Hüfte abwärts gelähmt ist, wird nach Pandora geholt, um am Projekt AVTR teilzunehmen, und soll den Avatar – eine Kreuzung aus menschlichen und Genen der Na'vi – seines verstorbenen Zwillingsbruders übernehmen.
(frei nach Wikipedia)

Frei von jeder subjektiven Wertung muss man feststellen, dass es einen optisch derart aufwändig gestalteten Film wie "Avatar" schlicht und einfach noch nie gegeben hat. Was Cameron hier aus dem Hut, beziehungsweise aus über einem Petabyte Speicherplatz (entspricht 100 Gigabytes pro Filmsekunde!) gezaubert hat, ist schlicht unfassbar. Zugegeben, vollständig ausgereift ist die 3-D-Technik noch nicht und weiterhin etwas anstrengend für die Augen, doch der Effekt übertrifft auch so die wildesten Vorstellungen: Der Zuschauer ist in Pandora.
Dazu kommt, dass Cameron seit jeher die Fähigkeit auszeichnet, dass er im Gegensatz zu anderen Regisseuren die Technik auch wirkungsvoll einzusetzen weiss. In "Avatar" hat er ein faszinierendes Gleichgewicht gefunden zwischen Tempo und der Ruhe, die nötig ist, um die Bilder wirken zu lassen. So verliert man bisweilen den Überblick, wenn es mal gar hektisch drunter und drüber geht im fremden Dschungel, doch nur um sich Sekunden später in einer ästhetischen Zeitlupe wiederzufinden, die einem den virtuellen Raum wieder voll bewusst macht.
Dazu kommt, dass Cameron der ewigen Verlockung, lange und exzessive Kamerafahrten auszukosten, weil es am Computer eben möglich ist, widerstehen kann. Stattdessen berücksichtigt er klug die Entwicklungen des Action- und insbesondere des Science-Fiction-Films der letzten Zeit (siehe District 9) und überrascht mit zahlreichen Point-of-View-Shots, Schwenks und plötzlichen, beinahe schon dokumentarisch anmutenden Zooms. Dadurch kann er - im Gegensatz zu Robert Zemeckis mit Beowulf - die Früchte seiner Arbeit ernten, indem "Avatar" tatsächlich ein visuelles Universum bildet, das von unserer Wahrnehmung akzeptiert wird - nicht als tatsächliches Abbild der Realität, sondern als glaubwürdige, in sich geschlossene imaginäre Welt.
Dies ist in erster Linie der detailversessenen Gestaltung der Umwelt auf Pandora zu verdanken; seien es nun riesige Felsklippen, überbordende Dschungelflora oder einfach der Naturalismus von Feuer. Auch die Brücke zwischen Real- und Animationsfilm hat noch niemand so spektakulär geschlagen wie Cameron, indem das Gollum-Verfahren "Motion Capture" in den letzten Jahren markant weiterentwickelt wurde. So begeistert der Hauptavatar von Jake Sully nicht nur durch Oberflächen mit unvorstellbar plastischer und geradezu greifbarer Texturierung, sondern auch durch differenzierte Gesichtszüge, in denen man Sam Worthington auf den ersten Blick wiedererkennt. Auf die Spitze getrieben werden all diese handwerklichen Aspekte, sobald die Handlung buchstäblich den Boden unter den Füssen verliert und sich die virtuelle Kamera zusammen den Na'vi auf ihren Flugmounts - ich meine natürlich Flugtieren - in die wolkenverhangenen Tiefen der grenzenlosen Topographie Pandoras stürzt.

Die comichafte Ambiente der Computerästhetik vermag Cameron jedoch noch immer nicht gänzlich abzuschütteln, ja er beschwört sie insofern geradezu herbei, indem er einen Grossteil der Story eben doch aus blauen Elfen mit schönen grossen Augen bestehen lässt, die in einer bunten Kitschwelt herumhüpfen. Auch das Motion Capture stösst in Sachen Glaubwürdigkeit noch an seine Grenzen, wenn es etwa darum geht, echte Emotionen wie Trauer oder Bestürzung darzustellen.


So zementiert Cameron mit "Avatar" sein Image als Technokrat, besser gesagt als König der Technokraten, nicht aber als subtiler Auteur. Sein Film funktioniert exakt solange, wie sich der Zuschauer von den fulminanten optischen Reizen in den Bann schlagen lässt. Diese Zeitspanne mag stark vom jeweiligen persönlichen Hintergrund abhängen, dürfte sich aber in erster Linie auf die erste Hälfte erstrecken, wo auch die inhaltliche Ebene im Zeichen des neugierig-naiven Erkundens einer wundersamen Welt steht. Anders gesagt: Die Stärke von "Avatar" ist es, das Gefühl des Protagonisten, sich in einer vollkommen neuen Umgebung zu befinden, auf den Zuschauer zu übertragen. Das ist schön und gut, nur leider folgt Cameron Pfaden, die in Hollywood mehr als ausgetreten sind, und folglich setzt in der zweiten Hälfte tatsächlich so etwas wie eine punktuell an die Oberfläche gelangende Langatmigkeit ein.
Schien Cameron früher, als er mit Science-Fiction-Meilensteinen wie Aliens und Terminator begeisterte, noch ein ausgeprägtes Gespür für überraschende Storywendungen und sorgfältig gezeichnete, unverwechselbare Figuren zu haben, so ist davon seit Titanic nur noch wenig zu erkennen. In "Avatar" vermag es höchstens der von Sam Worthington trotz limitierten Möglichkeiten solide gespielte Protagonist, eine stabile emotionale Verbindung zum Zuschauer aufzubauen, während das restliche Figurenensemble - ob real oder digital - aus von Anfang an auf wenige Eigenschaften festgelegte Stereotypen besteht. Noch dazu Stereotypen, die man aus Camerons eigenem Œuvre zur Genüge kennt, so die Figur des utilitaristischen und militaristischen Colonel Quaritchs. Auch der Plot bietet unter genauer Betrachtung praktisch keine einzige echte Überraschung, stattdessen liesse es sich geradezu mit der Stoppuhr auf bestimmte Ereignisse warten. Einerseits ist es durchaus angenehm, dass Cameron eine bodenständige Zukunftsstory liefert, anderseits hätte man sich nicht ganz so offensichtlich von Popkultur-Bestandteilen wie Pocahontas oder Dancing with Wolves inspirieren lassen müssen. Auch das Design der fremden Welt und der menschlichen Kolonie hätte origineller ausfallen können, statt augenscheinlich in der Requisitenkiste von Aliens und co. zu stöbern. Und schlussendlich stellt sich auch die Frage, ob es Cameron wirklich ernst meint mit seiner Message, wenn er einen naiven "Zurück zur Natur"-Mythos beschwört und gleichzeitig die finale Materialschlacht in einer Weise inszeniert, die sich nur als verherrlichend bezeichnen lässt. Hier weckt "Avatar" nicht unbedingt vorteilhafte Assoziationen mit 300.

Vielleicht verdient Cameron aber auch Nachsicht. Der Druck war ohne Zweifel gewaltig bei einer Produktion solch astronomischen Ausmasses, die sich auf keine direkte Vorlage stützt und darüber hinaus über weite Strecken nur animierte Figuren bietet, und dass sich in den Köpfen der Produzenten die schlechten Erinnerungen an Final Fantasy regten, darf angenommen werden. Das Projekt wäre ohne die Beteiligung und das Engagement von James Cameron persönlich also höchstwahrscheinlich nie zustande gekommen. Und wie es aussieht, hat dieser seine Hausaufgaben gemacht: "Avatar" hat in der USA allein über das Eröffnungswochenende 73 und bisher weltweit über 400 Millionen Dollar eingespielt. Fortsetzungen sind also schon in Planung und man darf auf weitere Durchbrüche der 3-D-Technik im kommenden Jahrzehnt hoffen.

Natürlich fällt es leicht, Camerons Film zu kritisieren, vor allem dann, wenn man sich die Sache nach einer Woche nochmals durch den Kopf gehen lässt. Im Grunde ist "Avatar" grüner Ethnokitsch, eskapistischer noch dazu. Aber vielleicht ist gerade das der Punkt: Dies ist nicht der Film, über den man eine Woche später noch nachdenken sollte. Dies ist der Film, der einen mit einer unvergleichlich intensiven visuellen Suggestion gefangen nimmt, wie man es sich vor zehn Jahren nicht hätte vorstellen können; ein Ticket für zweieinhalb Stunden Achterbahnfahrt durch eine Welt der überbordenden Sinneseindrücke, welche nun eben das allererste Mal in der Geschichte des Kinos auch zum Greifen nah ist. Anders gesagt: Der Zuschauer ist mittendrin, befindet sich selbst in einem Avatar auf Pandora. Noch anders gesagt: Träumen mit offenen Augen.

"Avatar" hebt den phantastischen Film auf eine völlig neue Stufe der Suggestivität und ist ein Zeugnis von überragender technischer und inszenatorischer Handwerkskunst. Das nächste Mal bitte mit einer ebenso verblüffenden Story.

ca. 8 von 10 Punkten



1 Kommentar:

Meroman hat gesagt…

Ich werd dir heute Nachmittag/Abend/Nacht ne PN im HDRF schreiben.
Gruß
Mero