Donnerstag, 7. Oktober 2010

180° (Kino Review)



180°

180° - Wenn deine Welt plötzlich Kopf steht wurd eim Rahmen des 6. Zurich Film Festival gezeigt.

Inhalt:

Ein Amoklauf eines Zürcher Beamten beeinflusst auf höchst unterschiedliche Weise die Leben von rund einem Duzend Leuten. Ein junges Paar auf dem Weg zu einem Geschäftstermin überfährt zwei Jugendliche, als sie davon im Radio hören. Während das Mädchen sofort tot ist, landet der Junge türkischer Herkunft im Koma auf der Intensivstation. Dessen Eltern und drei Geschwister sind fassunglos, wobei der Konflikt zwischen den unterschiedlich stark integrierten Familienmitgliedern zum Vorschein kommt.
Auch für die Eltern des Mädchens scheint eine Welt zusammenzubrechen: Während sich der Vater, Professor für Literatur, von der Familie entfremdet hat und mit den Avancen einer Studentin konfrontiert ist, arbeitet die Mutter in ebendem Krankenhaus, in das der türkische Junge eingeliefert wird. Währenddessen ist der Amokläufer noch immer auf der Flucht...

Kritik:

Schon in der ersten Minute lässt Cihan Inan keinen Zweifel daran, dass 180 Grad weit entfernt vom eitlen Sonnenschein der üblichen Fernseh- und Spielfilmproduktionen hierzulande ist: Nachdem ein Mann mit seiner Ex-Frau und seinem kleinen Sohn telefoniert hat, offenbart uns die Kamera ein Sturmgewehr und ein Büro voller Leichen. Hatte der Schweizer Film nicht einmal den Ruf, bieder und mutlos zu sein? Mit diesem Vorurteil möchte Regisseur und Drehbuchautor Inan ganz offensichtlich aufräumen, indem er gerade einen Amoklauf (inspiriert durch einen wahren Fall in den Achtzigern) zum Dreh- und Angelpunkt seiner Geschichte macht.

Am meisten begeistert an 180 Grad sicherlich, dass der Film von Beginn weg auf überraschend hohem Niveau daherkommt. Mit eindringlicher Bildsprache und ohne unnötiges Palaver zieht uns Inan in die Story hinein und treibt sie zügig voran. Auf technischer Ebene gibt es dabei absolut nichts zu meckern. So wurde auf dem selben neuen digitalen Kamerasystem gedreht, auf dem auch Che oder District 9 entstanden. Die fantastische Kameraführung, die atmosphärischen Nachtaufnahmen und die naturalistische Lichtgestaltung sprechen eine deutliche Sprache: Der TV-Look, der früher noch viele Schweizer Filme kennzeichnete, ist endgültig passé!

Effektiv wurde auch der Soundtrack eingesetzt, welcher vor allem in den zahlreichen dialogfreien Szenen in den Vordergrund rückt. Hier kommt jedoch ein Problem des Filmes zum Vorschein, nämlich, dass es von allem manchmal etwas too much ist. Oft wäre es nämlich nicht nötig gewesen, extra den Holzhammer hervorzuholen, um dem Gezeigten eine möglichst dramatische Stimmung zu geben. Wenn also Katastrophe an Katastrophe gereiht wird, dann beschleicht einen hie und da der Eindruck von Effekthascherei.

Dies wird dadurch verstärkt, dass die meisten Figuren relativ eindimensional daherkommen. Während die einen Schauspieler dies gekonnt kaschieren können - zu nenen wären Christopher Buchholz, Michael Neuenschwander und Carla Juri - bleiben die anderen flach oder gehen gar völlig unter. Was beispielsweise Sabine Timoteo und Leonardo Nigro in diesem Film verloren haben ausser einem nice-to-have, bleibt schleierhaft. Weiter fehlt es insgesamt an spannenden Charakterentwicklungen, wobei zahlreiche interessante Konflikte zwar angeschnitten, aber schlussendlich nur spärlich aufgelöst werden. So macht 180 Grad gegen Ende einen ausgefransten Eindruck und hätte locker eine weitere Viertelstunde mit überraschenden character turns vertragen.

Trotz allem: Im Vergleich zum anderen Schweizer Querschnittsfilm der letzten Jahre, Happy New Year, überzeugt 180 Grad durch seine spannende und dichte Erzählweise. Inan scheut sich nicht, ernsthafte Probleme anzusprechen, und erinnert dabei im positiven Sinne an das amerikanische Vorbild L.A. Crash. Ist der Schweizer Film etwa endlich erwachsen geworden?

ca. 7 von 10 Punkten

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