Montag, 14. Juli 2008

In Bruges (Kino Review)



In Bruges

Es kommt nicht gerade oft vor, dass jemand in seinem allerersten Spielfilm mit Namen wie Colin Farrell aufwarten kann. Martin McDonaugh war wohl auch nur deshalb dazu in der Lage, weil er 2004 den Oscar für seinen Kurzfilm Six Shooter erhielt und zuvor ziemlich erfolgreich als Theaterregissuer und -autor tätig war. Glück für uns, denn der Engländer beschert uns einen richtig britischen Film. 

Ray und Ken sind Killer. Sie mögen sich nicht besonders. Und sitzen in Brügge (französisch: Bruges) fest. Denn nach einem missglückten Auftrag haben sie vom Boss die Anweisung bekommen, in der belgischen Stadt unterzutauchen und auf eine Nachricht zu warten. Und was tut man, wenn man tagelang nichts zu tun hat, inmitten der besterhaltenen mittelalterlichen Bauwerken Belgiens? Genau. Sightseeing! 

Filme über Killer und Gangster sind nichts aussergewöhnliches mehr, auch nicht Komödien, nicht zuletzt hat Quentin Tarantino sie salonfähig gemacht. In Bruges (Deutsch: "Brügge sehen ...und sterben?") schafft es trotzdem, etwas neues auf die Leinwand zu bringen, auch wenn sich der simple Handlungsabriss nicht danach anhört. In erster Linie hängt das damit zusammen, dass er neben den beiden Hitmen das titelgebende Städtchen als dritten Hauptperson besetzt. Mit viel Liebe beschwört er ein mystisches, verträumtes und geheimnisvolles Bild der Stadt herauf, mit ihren Kanälen, Brücken, Gassen und Kirchen, die vor allem in der Nacht eindrucksvoll beleuchtet und fotografiert in Szene gesetzt werden. Dies bildet die Theaterkulisse für ein einzigartiges Stück. 

Denn als Theater könnte man "In Bruges" tatsächlich beschreiben. Zwar lotet er mit beachtlichem Geschick die filmischen Mittel und Möglichkeiten aus, zeigt aber auf vielen Ebenen die Züge einer Schauspielhaus-Aufführung. Das bedeutet, dass er sich traditionell auf wenige zentrale Charaktere und Handlungsorte beschränkt und die Leistung der Darsteller in den Vordergrund stellt. Wir befinden uns von Anfang bis Schluss in Brügge und kriegen relativ wenig Action zu sehen. 

Wer jetzt aber zu denken beginnt, dies sei ein langweiliger, altmodischer Schinken, liegt meilenweit daneben. Ein wenig mehr hat sich McDonaugh für sein Erstlingswerk schon einfallen lassen. Bezeichnend ist hier, dass es sich um einen Autorenfilm handelt, also dass der Regisseur auch das Drehbuch geschrieben hat. Somit kann sich McDonaugh voll und ganz auf sein Script stützen und den Dialogen freien Lauf lassen. Und was für welche. Es ist schwer, etwas über sie zu schreiben, denn man muss sie einfach selbst erlebt haben. In ihrer wilden Art und zeitweiligen Sinnverweigerung brechen sie die von Hollywood traditionell eingetrichterten Gesetzte und sind trotzdem noch viel mehr als das nachgemachte "Pulp Fiction"-Palaver, das man mittlerweile ja schon oft genug gehört zu haben meint. Sie sind anders. Anders als die leichtfüssigen, stromartigen Tarantino-Dialoge, anders als die subtilen, unterschwelligen Coen-Dialoge. Sie sind schräg, sie sind absurd, sie sind konfus und vor allem sind sie schwarz. Rabenschwarz. Als ob man es nicht schon längst wüsste, aber nun ist es ein weiteres Mal bewiesen: Die Briten haben den besten Humor der Welt. Wozu braucht man eine grossspurige Handlung mit dreiundsiebzig Episoden und unzähligen Charakteren, wenn jemand wie Martin McDonaugh aus der simplen Konstellation von zwei Figuren Munition für zwei Stunden Lachkrämpfe herausholen kann? Wenn man nicht fürchten müsste, die nächste Pointe zu verpassen, würde man sich wohl am liebsten ständig vor Lachen auf dem Boden des Kinos kugeln. 
Natürlich wird dieser Humor nicht jedermanns Sache sein, das ist klar. Wer beispielsweise Monty Python mag, wird wohl auch etwas mit diesen bissig-bösem, politisch höchst inkorrekten Spässen anfangen können, aber das soll jeder selbst heraus finden. Auf jeden Fall ist dieser Film ein absurdistisches Glanzstück, das auch in seinen stummen Szenen begeistert, wie wenn beispielsweise der Killer auf der Jagd plötzlich inne hält und den Reiseführer zu Rate zieht. Nie vergessen wird dabei die Selbstironie, ja sie wird sogar in herrlichem Ausmass zelebriert und der Film tut zu keiner Zeit so, als wäre er realistisch. 

Und in diesem ganzen Feuerwerk der Gags nimmt sich McDonaugh immer wieder die Zeit und Ruhe, ernst zu werden. Er macht aus seinen Figuren weit mehr als Spassfaktoren, bringt sie dem Zuschauer emotional äusserst nahe und streift interessante Themen wie Schuld und Verantwortung. Dazu kommt, dass er den gesamten Film, passend zum oben erwähnten Theaterstil, hintergründig als eine Art Märchen auslegt. Der verlorene Sohn, die verführerische Schöne, der Zwerg, Selbstaufopferung, Sünde, Gottes Gnade, die ganze Kulisse; kombiniert mit der ruhigen, melodischen Klaviermusik wirken diese Elemente in ihrer Symbolhaftigkeit tatsächlich wie aus einem Märchen - wenn auch natürlich wieder ironisch und modern eingesetzt. Es schwebt jedenfalls über dem ganzen Film ein gewisse Atmosphäre von Magie, ein Hauch von Surrealität und Abstraktheit. Ein weiterer Grund, weshalb dieser Film einfach anders ist. 
Dies kommt nur deshalb zustande, da Regie und Drehbuch, wie erwähnt, beachtlich harmonisieren. 

Theater kommt bekanntlich nicht ohne Schauspieler aus, so auch "In Bruges" nicht. Gott sei dank, hat McDonaugh auch hier ins Schwarze getroffen. 
Ich mag Colin Farrell nicht besonders. Weder in Minority Report noch in Alexander hat er mir gefallen, bisher bin ich Filmen mit ihm eher aus dem Weg gegangen. Ich mochte ihn nicht. Mit diesem Film hat er es geschafft, meine vollumfängliche Sympathie zu gewinnen. Ich will gar nicht erst versuchen, sein Acting in Worte zu fassen - es ist grossartig. Dass dies die beste Rolle seiner bisherigen Karriere ist, würde ich jetzt einfach mal so behaupten, so sehr wächst er einem als Ray ans Herz. Leider ist es nicht der von der Academy bevorzugte Typ von Schauspielleistung, aber ein solcher Film braucht irgendwie auch gar keine Oscars. 
Ihm zur Seite stehen unser allzeit gern gesehener Ire Brendan Gleeson (Troy, Harry Potter) mit einer sehr soliden Leistung und der bedrohliche Brite Ralph Fiennes (Schindler's List). Dazu kommt die unglaublich zauberhafte Clémence Poésy, deren Rolle vielleicht nicht allzu viel hergeben mag, was aber kaum ins Gewicht fällt. Es ist übrigens verblüffend, wie viel besser als in Harry Potter sie mit der richtigen Inszenierung wirkt. Der gesamte Cast spielt jedenfalls hervorragend zusammen und verleiht dem Film einiges an Schwung. Natürlich ist es ein dringendster Ratschlag, den Film wenn möglich in englisch zu sehen, allein schon wegen Farrells herrlichem Akzent. 

Weiter ist der Film zeitweise blutig, aber keinesfalls gewaltverherrlichend, immer spannend, oft unvorhersehbar, und das in einer erfrischenden Hollywood-fremden Art. Frei nach dem Motto: Shoot first. Sightsee later. 

Inmitten der malerisch beleuchteten grün-gelben Kulisse "In Bruges" liefert Martin McDonaugh auf eine erfrischend ungewohnte Art einen rabenschwarzen Thriller über Fegefeuer, Schwäne und selbstmordgefährdete Zwerge. Der abgefahrenste, coolste und verdammt nochmals witzigste Film seit "Hot Fuzz". 

ca. 9 von 10 Punkten

1 Kommentar:

Alan_Mattli hat gesagt…

Gute Rezi, echt. ;-)
Was vielleicht noch erwähnenswert ist - wenn wir schon beim Schauplatz sind - ist die Tatsache, dass McDonagh Brügge sehr gekonnt in Szene setzt. Anfangs ist es das malerische Kleinstädtchen, doch am Ende ist es die mittelalterliche und düstere Stadt - passend zum Filmverlauf.
El Chupanebrey lässt grüssen! ;-)

P.S. [kein Spam]: www.freewebs.com/elc-movies