Sonntag, 21. März 2010

Die Nagelprobe (Kino Review)



Die Nagelprobe

Filmemacher, Drehbuchautor, Musiker und Hobby-Politiker Luke Gasser legt mit Die Nagelprobe seinen neusten Film vor. Wenn es im Abspann hochtrabend heisst, dass an Originalschauplätzen gedreht wurde, ist damit schlicht und einfach Gassers Heimatkanton Obwalden gemeint, dessen vermeintlich mystische Vergangenheit das Thema des Filmes darstellt. Erzählt wird einerseits in der Gegenwart, wie man auf einer Baustelle in Giswil ein seltsames Brett mit Nägeln findet, welches von dem Archäologen Rolf Aschwanden (Polo Hofer) und seiner Assistentin Nina (Irène Ludin) als historisches Artefakt identifiziert wird. Anderseits spielt der Film zu einem grossen Teil im finsteren Mittelalter, wo nach und nach die schauerliche Herkunft und Bedeutung dieses Bretts zum Vorschein kommt.

Schon bei der Zuordnung zu einem bestimmten Genre tut man sich bei Gassers Film schwer. Hier werden relativ grosszügig Elemente zusammengeworfen, die man dem Drama, Krimi, Mysterythriller, Historienepos und auch der Komödien zuordnen könnte. Es bleibt fraglich, ob Gasser, dessen Film vom Staat mit 250 000 CHF unterstützt wurde und insgesamt etwa eine Million gekostet haben dürfte, ein stimmiges Gesamtbild überhaupt jemals beabsichtigt hatte. Natürlich spricht grundsätzlich nichts gegen Vielseitigkeit und gewagte Genremischungen, geschweige denn gegen Gassers Anspruch, einen völlig unabhängigen, persönlichen Film voller Herzblut zu machen. Aber wenn eine Story eher einem kunterbunten, ausgefransten Flickenteppich denn einem dramaturgisch geschickt verwobenen roten Faden gleicht, dann ist die Sympathie, die man als Kritiker grundsätzlich dem nationalen Filmschaffen gegenüber hegt, auch hier wieder einmal rasch erschöpft.
Schlimm genug, dass Gasser wenig Mühe an eine durchdachte Drehbuchstruktur verschwendet zu haben scheint, er schmückt sich auch alles andere als mit Lorbeeren, wenn es darum geht, seinen Schauspielern sinnvolle Dialoge in den Mund zu legen – sie sind allesamt entweder zu lang, zu haarsträubend oder schlicht völlig belanglos geraten. Dies vermag Gasser leider auch nicht mit einer gekonnten Schauspielführung wettzumachen, viel mehr muss die Vermutung gehegt werden, dass er die Schauspieler, die grösstenteil über keine Leinwanderfahrung verfügen - an sich kein Hindernis! - zu ständiger Übertreibung ermutigt hat. So sind die in Obwalder Dialekt gesprochenen Dialoge zwar schrullig anzuhören, mit wenigen Ausnahmen jedoch überspannt theatralisch und ohne jedes Gefühl für Authentizität und Charakterteife vorgetragen. Von Charakteren kann sowieso wenig Rede sein, denn die Figuren bleiben ausnahmslos blass, wobei es letztendlich schlicht unglaubwürdig und aufgesetzt wirkt, wenn etwa der Protagonistin Nina plötzlich übersinnliche Fähigkeiten zugeschrieben werden. Die Grenze zur unfreiwilligen Komik wird in solchen Momenten jeweils deutlich überschritten.
Für einige beabsichtigte Lacher sorgt lediglich René Rindlisbacher als hochnäsige "Zürischnurre", doch auch sein penetrantes, von Gasser scheinbar gefördertes Overacting geht mit der Zeit nur noch auf den Wecker. Vielleicht wollte Altrocker Polo Hofer in der ehrenvollen Absicht, den Film zu retten, neben Rindlisbacher einen Gegenpol darstellen, indem er schlicht und einfach gar nicht schauspielert, aber auch hier darf am Vorhandensein von bewussten Hintergrundgedanken gezweifelt werden. Auf jeden Fall tun die zahlreichen, viel zu gedehnten Dialogszenen zwischen den beiden Promis, in denen Rindlisbacher voller Energie seine Mimik und sein Mundwerk in die Wagschale wirft, während Hofer nur müde in die Gegend stiert, dem Gesamtbild des Filmes keinen Gefallen. Im Gegenteil, sie machen ein vermutlich anfangs noch vorhandenes dramaturgisches Konzept gänzlich unauffindbar.

Zugegeben, es gibt nicht nur negatives zu berichten über Die Nagelprobe. Die Kameraführung ist insgesamt ordentlich, leider gebrochen von einigen ziemlich dilettantischen Aufnahmen, der Schnitt holt aus dem Material heraus, was es da herauszuholen gibt, und die Mittelalterszenen bestechen durch einen massenhaften Einsatz von Nebel, Scheinwerfern und Filtern, was zwar überaus stilisiert wirkt, jedoch tatsächlich so etwas wie eine düster-mystische Atmosphäre heraufbeschwört. Die unterhaltsamsten Momente hat der Film jedenfalls immer dann, wenn die bärtigen und in zottelige Felle gehüllten Krieger zum rockigen Soundtrack - natürlich ebenfalls von Luke Gasser - durch Schnee und über Gebirgskämme schreiten. Jedoch hält die aufkommende Stimmung jeweils nicht lange an, sondern verpufft spätestens dann, wenn wieder in die Gegenwart geschnitten wird. So versagt Gasser schlussendlich darin, geschickt mit den beiden Ebenen zu hantieren, weshalb auch die pathetischen Aufnahmen der kriegerischen Urväter am Ende lediglich als Zeugnisse eines veralteten und unbeholfen im Film eingebauten Nationalkitsches in Erinnerung bleiben.
Ob es sich Gasser überhaupt jemals zum Ziel gesetzt hat, mit Die Nagelprobe ein Kinoereignis von nationalem Format und für einen schweizweites Publikum zu inszenieren, sei dahingestellt, herausgekommen ist jedenfalls eher ein zwar sympathischer, aber nicht wirklich ernst zu nehmender Film mit offensichtlichem Amateurcharakter und viel Lokalkolorit, der auf einem Obwalder Dorffest ohne Frage für viel Begeisterung sorgen wird.

"Die Nagelprobe" ist ein Film wie eine Hellebarde aus dem 14. Jahrhundert: grob, ungeschliffen und als symbolischer Beitrag zur nationalen Identitätsfindung längst überholt.

ca. 4 von 10 Punkten

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