Samstag, 25. September 2010

Saç (Kino Review)



Saç

Saç wurde im Rahmen des 63. Filmfestival Locarno gezeigt.

Inhalt:

Den ganzen Tag lang steht Hamdi (Ayberk Pekcan) in seinem Laden in einem schäbigen Viertel Instanbuls. Im ganzen Raum stehen Büsten auf Regalen an den Wänden: Hamdi verkauft Perücken. Er selbst redet kaum, raucht die ganze Zeit und ist sehr einsam. Lange zu leben hat er nicht mehr - er hat Krebs - und würde vor seinem Tod höchstens mal gerne nach Brasilien gehen, das er von einer Werbetafel vor seinem Laden kennt.
Eines Tages kommt Meryem (Nazan Kesal) zu ihm in den Laden und möchte ihm ihr Haar verkaufen. Als sie ihr Kopftuch löst, staunt Hamdi nicht schlecht: Ihr schwarzes Haar reicht bis über die Hüfte hinab. Langsam schneidet es Hamdi ab. Als Meryem seinen Laden verlässt, folgt er ihr heimlich. Es stellt sich heraus, dass sie in einem Einkaufszentrum arbeitet und ein distanziertes Verhältnis zu ihrem Mann (Riza Akin) hat. Hamdi kann nicht mehr von ihr ablassen und folgt Meryem Tag und Nacht. Die Situation wird immer bizarrer.

Kritik:

Saç ist der vierte Spielfilm des Türken Tayfun Pirselimoglu, der sowohl Regie führte als auch das Drehbuch schrieb. Dass er zuvor in Wien Malerei studiert hatte, merkt man auch seinem neusten Werk an. Schliesslich glänzt Saç in erster Linie durch seine Bilder, die allesamt perfekt komponiert, aufwändig ausgeleuchtet und mit gezielter Symbolik angereichert sind. Mit seiner eindringlichen Bildsprache gelingt es Pirselimoglu, ein Istanbul voller Melancholie und Einsamkeit darzustellen. Die Figuren kehren immer wieder an die selben verlassenen Orte zurück und auch gewisse Einstellungen kommen immer wieder. Dabei wird das Geschehen sehr statisch inszeniert, und folgerichtig bewegt sich auch die Kamera kaum.

Nicht genug, dass sich die Figuren im ganzen Film sehr langsam und bedächtig bewegen, sie reden auch kaum. Wenn dann mal ein Dialog stattfindet, ist er knapp und aufs Notwendige beschränkt. Vielmehr scheinen die Figuren über Blicke zu kommunizieren, während ihre Körper wie festgefahren zwischen den Mauern und Wänden wirken. Umso unerwarteter kommt der kurze Gewaltausbruch am Ende. Über das Innenleben der Protagonisten erfahren wir aber sogar in dieser Szene kaum etwas, beziehungsweise können nur durch Andeutungen darauf schliessen. Generell bleibt es im Dunkeln, was denn nun Hamdis Plan ist oder ob er überhaupt einen hat. Geradezu schwebend bewegt er sich durch die Stadt, wobei sein Laden und der Blick aus dem Fenster den Ausgangspunkt markiert.

Möglicherweise stellt das immer wiederkehrende Bild von Hamdi, wie er allein in einem Raum voller "toter", ihn anstarrender Köpfe steht, eine Metapher für Isolation des Einzelnen in der modernen türkischen Gesellschaft dar. Denn egal, ob sich die Figuren zuhause im dunklen Wohnzimmer oder im Bus voller Leute befinden, sie sind stets einsam und isoliert. Dabei betont Pirselimoglu den Kontrast zwischen dem modernen, schnellen Stadtleben und der langsamen, islamischen Tradition. Auf visueller Ebene ist das geschickt dargestellt, indem man etwa einmal in einem verlassenen, kargen Dorf im Hintergrund die Autobahn vorbeidonnern sieht.

Alles schön und gut, ändert aber nichts daran, dass sich der Film dahinschleppt. Es geschieht einfach zu wenig. Pirselimoglu nimmt sich viel Zeit für die Entwicklung der Handlung, ohne dem Zuschauer wirklich einen Grund zu geben, mit Hamdi mitzufühlen. Erst gegen Ende kommt etwas Dynamik in die Sache, und der Schluss fällt sowohl extrem bizarr als auch ziemlich unbefriedigend aus.

Saç ist toll fotographiert, aber höchstens für Arthouse-Fans wirklich interessant. Ein richtiger Festivalfilm eben.

ca. 6 von 10 Punkten

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