Mittwoch, 23. März 2011

Kameradschaft (Kino Review)



Kameradschaft

Kameradschaft (1931) wurde im Zuge einer Retrospektive im Zürcher Filmpodium gezeigt.

Inhalt:

Eines Tages an der deutsch-französischen Grenze: In einem französischen Kohlenbergwerk kommt es zu einem schweren Grubenunglück. Mehr als 600 Bergleute werden dabei verschüttet. Im Bergwerk auf der anderen Seite der Grenze kehren die deutschen Arbeiter gerade von der Frühschicht zurück, als sie von dem Unglück erfahren. Einer von ihnen, Wittkopp, kann die deutschen Kumpels davon überzeugen, dass sie solidarisch mit den französischen Arbeitern sein müssen. Er stellt einen Rettungstrupp zusammen und erhält die Erlaubnis von der Direktion nach Frankreich zu fahren, um dort zu helfen. Unter dem Kommando des Obersteigers fahren sie mit ihren LKWs los. Doch die Zeit drängt.
(frei nach Wikipedia)

Kritik:

Falls einem heutigen Kinogänger der Name Georg Wilhelm Pabst noch ein Begriff ist, dann ist das höchstwahrscheinlich Quentin Tarantino zu verdanken. Dieser hat den legendären deutschen Regisseur nämlich in Inglourious Basterds mehrfach erwähnt, in erster Linie in Zusammenhang mit seinem Stummfilm Die weisse Hölle von Piz Palü. Berühmt war G. W. Pabst jedoch weniger für pathetische Bergfilme, sondern für eine realistisch-sozialkritischen Tonlage, die geradezu konträr zu den Filmen steht, welche Piz-Palü-Hauptdarstellerin Leni Riefenstahl später für die Nazis drehte (Triumph des Willens, Olympia).
Bekannt ist Pabst unter anderem für das radikal pazifistische Werk Westfront 1918, das sein erster Tonfilm darstellte. Politisch gesehen stand er damit 1930 bereits auf verlorenem Posten: Das Projekt der deutsch-französischen Verständigung, welches in den 20ern von den beiden Aussenministern Briand und Stresemann initiiert worden war, und damit eine friedliche Revision des Versailler Vertrags war gescheitert. Sowohl die Dritte Republik in Frankreich als auch die Weimarer Republik in Deutschland hatten keine Mehrheit der Bevölkerung mehr hinter sich und wurden von erstarkenden radikalen Kräften in die Zange genommen – den Kommunisten einerseits und den Nationalsozialisten anderseits.

Vor diesem Hintergrund scheint auch die Botschaft, die Pabst mit seinem nächsten Film Kameradschaft (der auf einer wahren Begebenheit im Jahr 1906 basiert) verkündete, ziemlich illusorisch. In höchst symbolischen Bildern sehen wir dabei, wie die deutschen Bergarbeiter, die unterirdisch auf dem Weg zu ihren verschütteten Kollegen unterwegs sind, ein Gitter durchbrechen, das die Landesgrenze der ehemaligen Kriegsgegner markiert und über dem „Grenze 1918“ geschrieben steht. Pabst diesen Optimismus vorzuwerfen, wäre jedoch verkehrt. Bemerkenswert ist vor allem, wie unpathetisch er an die Sache herangeht und damit der Kitschgefahr, die dem Thema sicherlich innewohnt, gekonnt ausweicht. Dabei wird nichts beschönigt oder idealisiert und beispielsweise auch nicht verschwiegen, dass trotz der deutschen Hilfe die allermeisten Verschütteten nicht überlebten.
Der Film schreckt somit auch vor (für die damaligen Verhältnisse) drastischen Darstellungen nicht zurück. Die Klaustrophobie und der Schrecken im eingestürzten Stollen wird unglaublich hautnah inszeniert, wobei in erster Linie die grandiosen Setbauten und die expressionistisch anmutende Lichtgestaltung ins Auge stechen. Die fantastische Kameraarbeit von Robert Baberske und Fritz Arno Wagner ist noch ganz der Stummfilm-Tradition verpflichtet und lehnt sich stark an die Fotographie-Bewegungen der 20er an. Dagegen ist die Tonspur natürlich noch ziemlich unausgereift und nicht mit der Komplexität und Intensität moderner Klangwelten vergleichbar. Der Vorteil daran ist, dass sich Kameradschaft im Gegensatz zu anderen frühen Tonfilmen, die oft einen Rückschritt zum „abgefilmten Theater“ darstellten, grösstenteils auf die Bildspur konzentriert – der Film wäre im Grunde ohne den Ton absolut verständlich. Gesprochen wird übrigens in den Originalsprachen, also abwechselnd Deutsch und Französisch.

Überhaupt ist der Film sehr realistisch gehalten und steht damit im krassen Gegensatz zu den hyper-eskapistischen Tonfilmoperetten wie Der Kongress tanzt (mit Lilian Harvey), welche im selben Jahr die Massen ins Kino lockten. Bezüglich der Nähe, die der Film zu seinen Figuren entfaltet, und der – man darf es schon so sagen – moralisch ehrenvollen Absicht kann Kameradschaft gar als Vorgänger des Neorealismus gesehen werden, welcher nach dem Krieg in Italien Furore machen sollte.
Wie viele neorealistische Filme auch wurde Kameradschaft übrigens von den Kritikern des öfteren in die sozialistische Ecke gestellt. Diese Interpretation ist auch durchaus naheliegend, schliesslich erinnert die im Film gezeigte Solidarität zwischen den Bergarbeitern an Lenins zeitgenössische Forderung nach einem vereinten internationalen Proletariat. Bei genauerer Betrachtung erweist sich dieser Vergleich jedoch als konstruiert: Der gemeinsame Feind, gegen den sich die Männer in Kameradschaft verbünden, ist das Gas und der Krieg („le gaz et la guerre“), nicht das kapitalistische System. Ausserdem steht Pabst nichts ferner, als sozialistische Propaganda der Marke Eisenstein zu betreiben. Stattdessen möchte er eine dramatische, emotionale Geschichte erzählen, die einem tiefen Humanismus und keinem Parteiprogramm verpflichtet ist.
Dies gelingt ihm auch: In der schönsten Szene des Filmes wird ein verschütteter Franzose von einem deutschen Mitglied des Rettungstrupps gefunden. Der entkräftete, halb wahnsinnige Mann bekommt angesichts des deutsch sprechenden Mannes in Schutzuniform Panik, da er – zurückgeworfen in seine Erinnerung – vor sich plötzlich einen deutschen Soldaten in Gasmaske sieht, der im Schützengraben mit erhobener Waffe auf ihn zugestürmt kommt. Wie sich der Franzose in seinem Wahn auf den vermeintlichen Feind stürzt und ihn beinahe erwürgt, bis dieser seine Maske lüftet und dahinter ein menschliches Gesicht zum Vorschein kommt – das ist ganz grosses Kino.

aufgerundet ca. 9 von 10 Punkten

Keine Kommentare: