Sonntag, 1. Juni 2008

Ben X (Kino Review)




Ben X


Eskapismus, Isolation, Einsamkeit, sozialer Druck, Aussenseiter, Abschottung, Gewalt etc. Schwierige Themen, die es anzupacken gilt, wenn man einen Film über Online-Games macht. Unlängst sind sie schliesslich zu einem Massenphänomen geworden. Millionen von Gamer rund um die Welt loggen sich täglich allein bei World of Warcraft ein und lassen sich von einer Welt der Elfen, Orks und Trolle entführen, wo sie gemeinsam epische Quests lösen und gegen gewaltige Drachen in den Krieg ziehen. Dass das ganze Treiben nicht nur positive Seiten hat, zeigen nicht nur Fälle von Sucht und Totalabschottung, auch das Thema von Gewaltakten wie Schulmassaker scheint stets unheilvoll über der Diskussion zu schweben. Oft genug stehen Eltern ratlos da.

Der Belgier Nic Balthazar begibt sich mit seinem Filmdebüt Ben X somit auf heikles Terrain. Der Versuch hätte schwer misslingen können, aber glücklicherweise ist er mit viel Herzblut an die Sache gegangen und das merkt der Zuschauer schon nach den ersten Minuten. Wir befinden uns in der Welt von "Archlord", einem Fantasy-Online-Rollenspiel, kurz MMORPG. Ben X, mit Level 80 ein starker, gefürchteter Kämpfer, zieht auf seinem Schlachtross durch atemberaubende Täler. In der Realität ist Ben ein verschlossener, autistischer junger Mann, der kaum spricht und mit den Menschen nichts anzufangen weiss. In der Schule wird er ausgestossen und er steht den Tag nur durch, um wieder in die virtuelle Welt flüchten zu können. Doch da trifft er Scarlite, und sie wird seine Heilerin. Im Spiel. Doch Ben weiss selbst nicht mehr richtig, was Spiel und was Realität ist.

Die Handlung ist relativ simpel gehalten. Ben schafft es nicht, normalen Kontakt mit anderen Menschen herzustellen und wird von der Gesellschaft ausgestossen. Die Hänseleien in der Schule sind relativ klischeehaft dargestellt, die Reaktionen des Umfelds, also Eltern, Lehrer, Psychiater, ebenso. Teilweise bekommt man sogar den Eindruck, dass Balthazar den Bogen etwas überspannt und Bens Leiden in der realen Welt übertrieben krass darstellt. Zwar erzeugt er durch ständig eingeschobene, vorgreifende Interviewfetzen geschickt eine Spannung auf das was kommt, wenn die Zeitbombe explodiert, aber die Handlung des Aussenseiters ist nicht das Aussergewöhnliche am Film.

Das Aussergewöhnliche an diesem Film ist die visuelle Umsetzung. Verblüffend, wie mit bescheidenen finanziellen Mitteln solche einmaligen, eigensinnigen, ungewohnten Bilder geschaffen wurden. Vor allem die Leute, die selbst Erfahrung mit online Games gemacht haben, wird es beeindrucken, wenn Balthazar die optische Welt der Pixel und der Realität mehr und mehr vermischt und die Grenzen verwischt, bis man als Zuschauer selbst nicht mehr weiss, was nun tatsächlich vor sich geht. Die Bilder gehen Hand in Hand mit ziemlich hektischen Schnitten und einem stimmigen Soundtrack. Greg Timmermans verkörpert seine Rolle konsequent und intim, auch wenn er etwas zu alt für die Rolle scheint, und kommentiert das Geschehen eingehend aus dem Off. Auch die bezaubernde Laura Verlinden ist absolut passen besetzt. Alles zusammen kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Geschichte zeitweise etwas einseitig, überraschungslos und somit langatmig ist - bis auf den Schluss. Dieser überraschende, befreiende Schluss entschädigt für vieles und dank ihm steht der Film schlussendlich mehr als gut da. Nicht nur, dass er seine Geschichte erbarmungslos, schwer verdaulich, intim, traurig, aber auch optimistisch und lebensfreudig erzählt, für einmal sind auch nicht die Games schuld, sondern sie bieten Ben einen Weg der Linderung seines Leids. Von daher bietet dieser Film durchaus eine neue Perspektive.

Fazit: "Ben X" ist ein ungewohnter, berauschender Film, der ebenso ungemütlich wie warmherzig von einem schwierigen Thema erzählt, aber zeitweilen an einer überzeichneten Handlung krankt.

abgerundet ca. 7 von 10 Punkten

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