Sonntag, 23. November 2008

Eastern Promises (DVD Review)



Eastern Promises - Tödliche Versprechen

"My name is Tatiana. My father died in the mines in my village, so he was already buried when he died. We were all buried there. Buried under the soil of Russia. That is why I left, to find a better life."

Das Kinojahr begann sehr überraschend, als letzten Winter mit Eastern Promises der neue Film von David Cronenberg und Viggo Mortensen anlief, welche schon in History of Violence zusammengearbeitet hatten. Der englische Film, der für einen Oscar nominiert war, ist inzwischen auf DVD erhältlich und macht auch in Kleinformat noch gewaltig Eindruck.

Handlung:
Anna Chitrowa, selbst halb russischer Abstammung, arbeitet in einem Londoner Krankenhaus, in dem eines Tages das junge russische Mädchen Tatiana während der Geburt ihres Kindes stirbt. Anna forscht der Abstammung des Kindes nach, indem sie zunächst ihren Onkel Stepan bittet, das bei dem Mädchen gefundene Tagebuch zu übersetzen. Außerdem besucht ein russisches Restaurant, welches von einem gewissen Semjon geleitet wird, dessen Visitenkarte sie im Tagebuch gefunden hat. Als Semjon erfährt, dass ein Tagebuch existiert, erklärt er sich bereit, es selbst zu übersetzen. Inzwischen hat aber auch ihr Onkel mit dem Übersetzen angefangen und teilt Anna entsetzt mit, dass das Mädchen in die Fänge der Wory w Sakone, einer strengen mafiosen Bruderschaft, geraten war. Hat Semjon etwas damit zu tun und warum drängt er Anna ständig, ihm das Tagebuch auszuhändigen? Was hat es mit Nikolai, dem bedrohlichen Fahrer von Semjons exzessiven Sohn Kirill, auf sich?
(frei nach Wikipedia)

Was macht einen Film zeitlos? Bei "Eastern Promises" muss man sich diese Frage beinahe unweigerlich stellen. Wahrscheinlich ist es die Tatsache, dass sich ein Regisseur kaum nach den aktuellen Moden richtet und seine eigene persönliche Vision verfolgt. Wie auch immer, Cronenberg hat es vermutlich richtig gemacht.
Zwar besticht auch das Drehbuch von Steven Knight, 2002 für den Oscar nominiert, durch eine absolut unvorhersehbare Handlung, vielseitige Figuren, glaubwürdige Details, subtilem Spannungsaufbau und sehr coolen Sprüchen, aber was einem mehr in Erinnerung bleibt, sind die Inszenierung und die Schauspieler. So wie "Eastern Promises" daherkommt, ist er nämlich eine angenehme Abwechslung zu den grossen Mafiafilmen, die man aus der USA kennt. Es fällt einmal auf, dass er scheinbar längst nicht so hoch hinaus will. Während Filme wie "The Godfather", "Goodfellas" oder "Once upon a time in America" die Ambitionen haben, die Geschichte eines ganzen Landes über Jahrzehnte anhand dieser Gangsterstory aufzuzeigen, bleibt Cronenbergs Film durchgehend auf dem Boden. 
Tatsächlich zeigt er nie überdimensionalen Strassenschluchten, stattdessen sind die Schauplätze von nicht besonders grossräumigen Vorstadthäusern, dunklen, verregneten Gassen und unauffälligen Hintereingängen dominiert. Dadurch spielt der Film sehr stark auf persönlicher Ebene und bringt die essenziellen zwischenmenschlichen Konflikte noch mehr zur Geltung. Das Konzept geht insofern völlig auf, als dass der Zuschauer dadurch aus der Perspektive von Anna immer mehr der Vory v Zakone näher kommt und stets den Eindruck einer glaubwürdigen, realistischen Situation hat.

Cronenberg definiert die von ihm porträtierte russische Mafia demnach nicht über gross angelegt Überfälle oder ausgeklügelte, grossflächige Aktionen, sondern über einen brüderlichen Clan von extremer Exklusivität, der die Traditionen von damals im heutigen London weiterlebt. Es muss wohl nicht erwähnt werden, dass die Russen in ihrer bedrohlichen Bedächtigkeit, stoischer Selbstbeherrschung und unterschwelligen Feindseligkeit, welche sich in jeder klaren Präzision einer Geste ausdrückt, mindestens ebenso viel Stil haben wie die legendären Italiener Coppolas. Doch der springende Punkt ist, dass Cronenberg trotz aller ehrfürchtigen Andacht, mit der er die Vory v Zakone umgibt, ehrlich bleibt und immer wieder das wahre Gesicht der Organisation zeigt. Tatsächlich sind es nämlich vor allem die ehrwürdigen patriarischen Bosse, welche die einstigen Traditionen zu bewahren suchen und frustriert sind ob der folgenden, verweichlichten Generation, während sie selbst in Tat und Wahrheit auch nur schmutzige, brutale Verbrecher sind, die die Ehre nur zum Schein hoch halten. 
Man kann sogar sagen, dass "Eastern Promises" den Zuschauer trotz der oberflächlichen Ruhe immer mehr in einen Strudel der abgrundtief verachtenswerten Gewalt hinabzieht, vor der es kein Entkommen gibt. Gerade weil Cronenberg seinen Film dermassen kompromisslos und atmosphärisch erzählt, entfaltet er eine so hautnahe Wirkung, die man nicht so schnell vergisst.

Das hängt ohne Frage auch damit zusammen, dass "kompromisslos" in diesem Fall auch "hemmungslos brutal" bedeuten kann. Und trotzdem missbraucht Cronenberg die Gewalt nie als plakatives Mittel der Effekthascherei, sondern nützt sie als gezielt eingesetztes Stilmittel, um den Zuschauer genau dort zu treffen, wo es weh tut. Erwähnenswert ist dabei allein schon die unvergessliche Schlägerei in der zweiten Hälfte, die in ihrer Schutzlosigkeit extrem hart ist und dem Zuschauer beinahe physische Schmerzen bereitet. Nein, "Eastern Promises" ist trotz seiner geringen Lauflänge von 100 Minuten kein leichtverdaulicher Film, der sich jedem empfehlen lässt.

Mehr denn die Inszenierung bleibt höchstens der Cast des Filmes in Erinnerung, und das mit gutem Grund. Der Film konzentriert sich in erster Linie auf die vier wichtigsten Charaktere und kann bei Jedem mit einer einmaligen Leistung auftrumpfen, weshalb sein Schauspielerensemble zum Überragendsten gehört, das man die Tage zu Gesicht bekommt.
Als erster wäre da die bezaubernde Naomi Watts, die sowohl einfühlsame Unschuld als auch glaubwürdige Entschlossenheit versprüht und es fertig bringt, den Zuschauer vorbehaltlos auf ihre Seite zu bringen und auf eine "Entdeckungstour" in das dunkle Herz Londons mitzunehmen. Als erstes trifft sie auf Semjon, der durch Armin Müller-Stahls wohlwollende Miene den vertrauten Eindruck eines grossväterlichen Beschützers weckt. Wären da nicht diese Augen - diese kristallklaren, grausamen blauen Augen. In jenen Dialogen strahlt Müller-Stahl eine grandios unfassbare, heimliche Gefahr aus, was ihn zum beinahe ultimativen Wolf im Schafspelz macht, den man je auf der Leinwand gesehen hat. Stark sind auch die Szenen zwischen ihm und seinem Sohn Kirill, welcher von Cassel impulsiv und energiegeladen, aber auch unsicher und verängstigt dargestellt wird.

Und dann ist da natürlich noch Viggo Mortensen. Er mag in einigen Filmen keine brillante Leistung gezeigt haben, aber hier ist er als Chauffeur Nikolai schlicht unglaublich. Ich will gar nicht gross versuchen, seine perfekten Gesten, seine kaltblütige Mimik und seine zwiespältige männliche Erotik zu umschreiben, sondern belasse es bei der Bemerkung, dass der Film allein dank ihm sehenswert ist. Zusammen mit ebenfalls bemerkenswerten Leistungen der restlichen Crew (inklusive Komponist Howard Shore, der das Holz mehr als einmal zum Weinen bringt) ist "Eastern Promises" einer der herausragendsten Filme des Jahres 2008 und einer der interessantesten Mafiafilme überhaupt geworden.

"Eastern Promises" ist ein bescheidener, dessen ungeachtet eindrücklicher und furios gespielter Film, der mit ruhiger und bedrohlicher Atmosphäre die russische Mafia äusserst brutal ins Bild setzt. Ein Weihnachtsfilm, der Eindruck hinterlässt.

ca. 9 von 10 Punkten


Weitere Bilder:







2 Kommentare:

Alan_Mattli hat gesagt…

Gute Kritik, da gibt es wohl nichts mehr hinzuzufügen. Ausser vielleicht, dass Cronenberg das Familienleben der Mafia sehr stimmig eingefangen hat. Grosses Kino and most underrated!

Jonas hat gesagt…

Danke.
Stimmt, das Familienleben wurde wirklich toll rübergebracht, aber es wurde bekanntlich ja auch noch nie ein absolut lückenloses Filmreview geschrieben. ;)