Samstag, 4. Oktober 2008

Wall-E (Kino Review)



WALL·E

Wenn ein neuer Film der Animations-Firma Pixar im Kino anläuft, dann ist das ein Ereignis. Unlängst hat sie die Nachfolge von den guten alten Disney-Klassikern angetreten und hat seit 1995 neun Spielfilme produziert, die durchweg im Spektrum gut bis ausgezeichnet anzusiedeln sind. Nach dem grossartigen Ratatouille vom letzten Jahr folgt diesen Herbst der kleine Roboter WALL-E.

In einer fernen Zukunft haben die Menschen die Erde verlassen, da sie durch Umweltverschmutzung unbewohnbar wurde. Eine Horde von Müllrobotern WALL-E wurde zurückgelassen um aufzuräumen. Im Jahre 2815, nach 700 Jahren des Müllsammelns und der Müllverarbeitung ist der Protagonist WALL-E der einzig Verbliebene. Der Roboter durchläuft über die Jahrhunderte eine Evolution und entwickelt ein eigenes Bewusstsein, dies geht so weit, dass er Ersatzteile für sich selber sucht. Somit ist er das einzige hochentwickelte Lebewesen auf der Erde. Als eines Tages ein Raumschiff auf der Erde landet, lernt er den Roboter EVE (Extraterrestrial Vegetation Evaluator) kennen und verliebt sich in sie. Keine leichte Sache für eine Maschiene, die eigentlich für das Aufräumen programmiert wurde.
(frei nach Wikipedia)

Was macht einen guten Kinderfilm aus? Diese Frage muss man sich eigentlich zwangsläufig stellen, wenn man die Filme von Pixar mit denen von Konkurrenzfirmen wie Dreamworks (Madagascar) vergleicht. Abgesehen davon, dass er die Kinder unterhalten, ansprechen und belehren sollte, ist das vielleicht wichtigste Kriterium, dass sich auch Erwachsene dafür begeistern lassen. Und das bedeutet nicht unbedingt, dass sich schlicht kindergerechte und erwachsene Witze abwechseln, sondern dass die Geschichte das gewisse etwas hat, das man als universell bezeichnen könnte. Egal was es ist, "WALL-E" hat es.

Schon die ersten Minuten machen unmissverständlich klar, dass hier kein gewöhnlicher kurzweiliger Kinderfilm folgt. Wir befinden uns in einem beinahe postapokalyptischen New York, zwischen gewaltigen Trümmern von Häusern und verlassenen, von Schrott übersähten Strassen, über dem allem eine erdrückende staubige Luftmasse hängt. Es scheint fast so, als würde sich Pixar milde lächelnd über I am Legend lustig machen, den es mit Leichtigkeit vom Tisch fegt. Inmitten diesem gewaltigen Szenario entdecken wir plötzlich diesen winzigen, einsamen Roboter, der durch die endlosen Müllhalden rattert. Was nun folgt, ist ein Geniestreich sondergleichen. In den folgenden Minuten wird uns diese Maschine vorgestellt, dieses rostige, scheppernde, quitschende Ding, das Spielzeuge genauso wie Weihnachtsbeleuchtung sammelt und mit naivster Ordentlichkeit seiner Tagesbeschäftigung nachgeht. Diesen Roboter muss man als Zuschauer ohne wenn und aber ins Herz schliessen. Die gesamte Anfangssequenz glänzt nicht nur durch eine unvergessliche Bildsprache, traumhafte Musik und gewitzte Storyeinfällen, sondern durch Humor. Keine aufdringlichen Bombardements von Möchtegern-Brüllern und kein sich-über-anderes-lustig-machen, sondern schlicht und einfach Situationen, die gleichzeitig berührend schön und erheiternd komisch sind. Dazu kommen Szenen, die mit ihrer ergreifenden Aura von Sehnsucht, Melancholie und Romantik jeden irgendwo bewegen dürften. Über den ganzen ersten Drittel des Filmes beweist Pixar eine seltene Grösse, indem es den Film gänzlich ohne Dialog auskommen lässt und inmitten der beeindruckenden Kulisse die eigentlich Handlung auf das elementare, beinahe ursprüngliche Wesen von Unterhaltung und Komik reduziert. Er ist wahrlich ein kleiner Charlie Chaplin, dieser WALL-E.

Der einfühlsame, romantische, beinahe magische und im höchsten Masse zeitlose Anfangsteil von "WALL-E" weckt sehr grosse Hoffnungen, nämlich auf ein weiteres Meisterwerk. Leider vermag der Film diesen Kurs nicht beizubehalten. Denn ab der Stelle, da WALL-E die Erde verlässt, verlässt auch Pixar die Sphäre des Unvergleichbaren. Natürlich ist es keine Frage, dass man den Film langsam in Schwung bringen und ihm eine handfesste Handlung geben musste, und so ist es ja auch keine Überraschung, dass sich der Film je länger je mehr in ein klassisches Erzählgefüge einschaukelt. Es ist einfach deshalb schade, weil man nach dem hervorragenden Beginn nicht umhin kommt, etwas enttäuscht vom nachfolgenden, eher bodenständigen und gewöhnlichen Plot zu sein. Nicht, dass der Film jemals schlecht wäre. Im Gegenteil, stets bleibt Pixar auf dem Niveau "sehr gut", was es auch durch die Animationen im Alleingang beinahe schaffen würde. Ideen sind bis zum Schluss mehr als genug vorhanden, und fehlende lebendige Charaktere oder temporeiche Story kann man ihm sicher nicht vorwerfen. Einige unglaublich starke Szenen gibt es durchaus auch in der zweiten Hälfte, aber auch einige, die nicht völlig überzeugen. Als Ursache für die geringere emotionale Tiefe der zweiten Hälfte könnte man vermuten, dass WALL-E selbst etwas aus dem Rampenlicht tritt, beziehungsweise dass die Entwicklung seiner Figur etwas vernachlässigt wurde. Anderseits, nach einer derartigen Charaktereinführung kann man sich das auch irgendwie leisten. Fest steht, dass es in der ersten Hälfte einen gewissen Bruch gibt, der sich meinetwegen positiv oder negativ auffassen lässt. Man könnte dem Film eventuell noch vorwerfen, dass er seine, zuweilen recht satirische, Öko-Botschaft etwas gar simpel transportiert und deshalb etwas einseitig wirkt. Aber hier muss man sich wohl angesichts all der Grösse des Filmes wieder darauf zurückbesinnen, dass das Zielpublikum Kinder sind. Und bei denen mag die gut gemeinte, für Erwachsene mindestens ebenso wichtige Botschaft auf jeden Fall ankommen. Erwähnenswert sind ausserdem die zahlreichen, gewitzt platzierten Filmzitate, die das Herz von jedem Science Fiction-Fan höher schlagen lassen sollten, und die ziemlich frechen und höchst eigenwilligen Apple-Anspielungen, die wohl nicht jedem zusagen werden.

Es ist wohl müssig, grosse Worte über die Technik von "WALL-E" zu verlieren. Die Animationen sind ein weiterer grosser, unglaublicher Schritt nach vorne und man sieht überdeutlich, wo die 180 Mio Dollar Produktionskosten gelandet sind. Pixar ist somit nicht nur auf erzähltechnischer, sondern auch auf visueller Ebene seinen Konkurrenten um eine deutliche Nasenlänge voraus. Das macht den Film für jede Altersstufe zu einem Genuss sondergleichen für die Augen. Man muss sich ernsthaft fragen, wie sich dies weiterentwickeln wird. Der Oscar für den besten animierten Spielfilm ist auf jeden Fall mehr als verdient und alles andere wäre eine Beleidigung.

Trotz allem bemängelswerten kann man sagen: "WALL-E" ist zu Sphären vorgestossen, die vielleicht noch nie zuvor ein Animationsfilm gesehen hat. Mit viel Sympathie und Eleganz befreit er sich von den Ketten, die seit jeher auf dem Genre der Kinderfilme liegen, und erzählt eine grosse Geschichte von universeller Schönheit, die im Detail mit ebenso zeitloser Brillianz überzeugt. Das macht ihn nicht zwingend besser als "Ratatouille", beweist aber, dass Pixar die Ideen noch nicht ausgegangen sind und mit einem solchen Mass an Innovation noch immer neue Horizonte erobert werden können. Weiter so!

"WALL-E" ist nicht das beste Werk von Pixar, aber nichtsdestotrotz ein Meilenstein des Animationsfilms, weil er nie dagewesene Effekte bietet und auf allen Ebenen zu den Sternen greift. Trotz klaren Schwächen in der zweiten Hälfte ist Pixar längst weit, weit darüber hinausgegangen, was man als die eingeschränkten Konventionen eines Kinderfilmes bezeichnen könnte.

aufgerundet ca. 9 von 10 Punkten

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

gratuliere und danke dir gleichzeitig zu dieser sensationellen review!

es ist schon gewaltig, wie du ja auch selber sagst, wie der film gross und klein gleichermassen ansprechen und beeindrucken kann. manchmal habe ich ganz vergessen, dass es "nur" ein animationsfilm ist! wir haben ihn als gesamte familie geschaut und waren alle hell begeistert. das warten auf die dvd wird eine sehr laaange zeit...

mir persönlich hat "wall-e" mindestens ebenso gut gut gefallen wie mein pixarfavorit "cars".

Jonas hat gesagt…

Vielen Dank!

Nunja ich war dermassen begeistert von Ratatouille, das kann WALL-E einfach nicht übertreffen.

Anonym hat gesagt…

ist vielleicht eine etwas deplatzierte frage (und sie ist keinesfalls provokativ gemeint), aber was hat dir an ratatouille so besonders gefallen?