Dienstag, 20. Januar 2009

El Chuncho, quien sabe? (DVD Review)



Töte Amigo

Nachdem Sergio Leone in den 60ern die grosse Italowestern-Welle losgetreten hatte, ging die Sache Schlag auf Schlag. Mit Django versuchte Sergio Corbucci 1966, eine etwas ernstere Antwort auf Für ein paar Dollar mehr zu geben, während im selben Jahr mit El Chuncho, quien sabe? (Deutsch: Töte Amigo) der sogenannte Revolutionswestern etabliert wurde, welcher vor allem am Ende der Spaghetti-Ära eine grössere Rolle spielen würde (Zwei Companeros, Todesmelodie). Nicht ganz zufällig war der Regisseur Damiano Damiani für "Töte Amigo" verantwortlich, da er seit den 50ern politisch aktiv war. Zudem verhalf der Film Klaus Kinski zum Durchbruch in Italien, welcher hier in einer Nebenrolle zu sehen ist.

Handlung:
Der junge US-Amerikaner El Nino schließt sich in Mexiko der Bande von El Chuncho an, die Waffen rauben, um sie an die Revolutionäre zu verkaufen. Für El Chuncho steht dabei die Bereicherung seiner Selbst im Vordergrund; er zieht lieber mordend durch die Dörfer und lässt sich von den Bauern feiern, statt die erbeuteten Waffen an General Elias abzuliefern. Er freundet sich mit Nino an, obwohl dieser wenig bis gar nicht spricht und es sehr eilig zu haben scheint, zu Elias zu gelangen.
(frei nach Wikipedia)

Es muss wohl nicht mehr erwähnt werden, dass im Bereich des Italowesterns zu dieser Zeit zahllose Filme fliessbandartig hingeschluddert wurden, um so lange noch möglich auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Von dieser Masse hebt sich "Töte Amigo" überraschend stark ab. Zwar hatte er für seine frühe Entstehungszeit ein ansehnliches Budget, konnte doch etwa ein Grossüberfall auf einen Zug inszeniert werden, allerdings blieben die Mittel dennoch beschränkt. Das spielt aber auch gar keine grosse Rolle, denn Damiani war ganz offensichtlich nicht in erster Linie daran interessiert, möglichst aufwändige Schiessereien und Explosionen zu veranstalten. Keine Bange, davon gibt es mehr als genug und sie sind wild und heftig inszeniert, aber so oder so ist das wirklich Herausragende an "Töte Amigo", dass er im Vergleich zu den meisten anderen Filmen seiner Art die Akzente deutlich anders setzt. Denn viele italienische Regisseure liessen sich damals nicht gross mit dem Ausarbeiten eines sorgfältigen Drehbuchs aufhalten, sondern schritten so bald wie möglich zur Tat, weshalb umso mehr auffällt, dass sich Autor Salvatore Laurani hier Mühe gegeben hat.

Dies drückt sich aus, indem der Film öfters einmal ruhige Töne anschlägt. Und dies tut er nicht nur pro Forma, um wieder für die nächste Schiessübung Luft zu holen. Zwischen all den Revolutionswirren vergisst er nicht, sich ausgiebig den Figuen zu widmen, welche auch wirklich interessant gelungen sind. Nicht nur das, sie sind ausserdem alle gut bis hervorragend besetzt. Allein schon der Bandenführer El Chuncho ist bemerkenswert dreidimensional, wie er hin und her wechselt zwischen wildem, blutrünstigem Tatendrang und einer Art melancholischer Nachdenklichkeit, die ihn etwa am Lagerfeuer ergreift. Fantastisch gespielt wird von Gian Maria Volontè, dem beinahe lebensecht gewordenen "Strolch" aus dem gleichnamigen Disneyfilm, welcher hier sogar noch etwas mehr beeindruckt als in "Für ein paar Dollar mehr".
Das pure Gegenteil zu ihm stellt Lou Castels Figur El Nino dar, der verschlossene, undurchsichtige Blondschopf, aus dem weder seine Mitmenschen noch der Zuschauer schlau wird. Bekommt man einmal den Eindruck, er entwickle eine Art emotionale Bindung zu dem Aufstand und den Companeros, so scheint es schon in der nächsten Szene wieder so, als verfolge er bloss seine ganz eigenen Ziele. Auch die weiteren Figuren sind grösstenteils interessant und passend besetzt, so vermag es beispielsweise die rothaarige Frau des Bürgermeisters, in ihren wenigen Filmminuten schauspielerisch viel Eindruck zu hinterlassen. Beinahe nicht mehr erwähnen muss man natürlich Klaus Kinski, der sich der Rolle des fanatischen Predigers mit voller Inbrunst hingiebt, wobei er leider viel zu wenige Szenen hat.

Der grosse Trumpf, den Damiani in "Töte Amigo" somit ausspielen kann, sind die zwischenmenschlichen Konflikte, welche die Roadmovie-Geschichte in Fahrt kommen und - wenn man das so nennen kann - echtes "Italo-Feeling" aufkommen lassen. Interessant auch, dass trotz allem Realismus die Figuren sehr symbolhaft und die Situationen teilweise geradezu absurd wirken. Im Gegensatz zu "Zwei Companeros" geht es hier nicht zwingend nur um die Abläufe einer Revolution, Damiani widmet sich eher den gesellschaftlichen Ursachen und den politischen Konsequenzen. Der satirisch anmutende Biss des Filmes wird beispielsweise ersichtlich, wenn die Bauern, die ein Dorf übernommen und die Oberschicht gemeuchelt haben, nun nicht mehr weiter wissen, da niemand unter ihnen lesen und schreiben kann, und irgendeinen jungen Tölpel als Bürgermeister einsetzen.
Ausserdem gesteht Damiani seinen Figuren ganz klar eine Wandlungsfähigkeit zu, lässt den ersten Eindruck oft sogar den Zuschauer in die Irre führen. Im Zentrum dieses Aspektes befindet sich Cuncho: Der barbarische Revolutionär stellt sich sehr bals als der praktisch einzige heraus, der sich um die Idee hinter der Revolution kümmert, während alle anderen von der Geldgierigkeit korrumpiert werden, dem Mittel, mit dem die Reichen und Mächtigen ihre Fäden im Hintergrund spinnen. Dabei bleibt Damiani stets ausgewogen, indem er beides auf ehrliche Weise brutal und unwürdig darstellt, sowohl die Diktatur als auch die Revolution.

Somit gehört "Töte Amigo" zwar zu den wenigen Italowestern, bei denen man die verweigerte Jugendfreigabe noch heute nachvollziehen kann, anderseits ist er aber auch einer der wenigen, der das Thema von Gewalt und Unterdrückung angemessen behandelt und schlussendlich eine recht optimistische Botschaft verlauten lässt. Und auch wenn der Film längst nicht über die ganze Länge reibungslos funktioniert, auch wenn man viele Elemente (etwa die optische Inszenierung an sich) schon in ähnlicher Form gesehen hat, so kennt man dies immerhin nicht in der Kombination mit Schauspielern und Inhalt, welche Damiani hier anzubieten hat.
Am Ende von "Töte Amigo" steht die Wahl. Entweder Weiterdienen und gierig dem eigenen Wohlstand Nacheifern, oder sich Widersetzen und für eine Idee, eine neue Ordnung kämpfen - entweder Brot oder Dynamit. Die Wahlt fällt leicht. Viva la Revolution!

"Töte Amigo" ist ein spannender, zynischer und kompromissloser Italowestern, der sich nicht mit anderen Meisterwerken des Genres messen kann, jedoch durch die Kombination von gekonnter Inszenierung, interessantem Inhalt und überzeugenden Schauspielern bis heute zu gefallen vermag.

abgerundet ca. 7 von 10 Punkten


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