Montag, 23. März 2009

Watchmen (Kino Review)



Watchmen

Zack Snyder hat sich nicht nur Freunde gemacht mit seiner opulenten Comic-Verfilmung 300, denn viele Kritiker weigerten sich, ob der inhaltlichen Dürftigkeit und Fragwürdigkeit des Filmes Snyders Leistung auf der visuellen Ebene zu anerkennen. Verständlich, dass es empörte Reaktionen gab, als bekannt wurde, dass Snyder den heiligen Gral der Comicszene, Alan Moores Watchmen, verfilmen solle. Zwei Adaptionsversuche waren zuvor schon gescheitert, weil man den Comic lange Zeit für nicht verfilmbar hielt, sei es wegen den begrenzten technischen Möglichkeiten oder der inhaltlichen Komplexität. Auch Snyder musste sich mächtig Gegenwind in den Weg stellen (etwa einem recht hässlichen Rechtsstreit), doch nicht zuletzt dank dem grossen Erfolg von "300" konnte er es sich wohl leisten, hier sein ganz eigenes Ding durchzuziehen. Das Ergebnis ist ein Triumph - nicht nur für Comic-Fans.

Handlung:
"Watchmen" spielt in einem alternativen Zeitverlauf im Jahre 1985. Amerika steckt mitten im kalten Krieg, der atomare Erstschlag droht und die glorreiche Zeit der kostümierten Superhelden ist längst vorbei, seit deren öffentliches Auftreten in den 70ern durch Regierungsbeschluss verboten wurde. Edward „The Comedian“ Blake, ein 67-jähriger Ex-Superheld der ersten Stunde, lebt in seinem Apartment in New York, als er von einem Unbekannten überfallen und aus dem Fenster geworfen wird. Die Polizei geht von einem Raubüberfall aus, doch der düstere Rorschach, einer von lediglich zwei noch aktiven maskierten Helden, ist sich sicher, dass da etwas nicht stimmt. Bald beginnt er die Vermutung zu hegen, dass ein Komplott gegen ehemalige Superhelden in Gange ist und versucht, seine ehemaligen Mitstreiter zu warnen. Doch die haben ganz eigene Probleme. Und die Uhr steht auf fünf vor zwölf.

Das wichtigste, das man über "Watchmen" wissen sollte, ist, dass es sich dabei um alles, nur nicht einen gewöhnlichen Superheldenfilm handelt. Wer Action, Humor und Herzschmerz in Spiderman-Manier erwartet, wird ab der ersten Minute enttäuscht werden. Gewiss; Action, Humor und Gefühle sind zur Genüge vorhanden - doch aus der Feder eines Alan Moore. Wer sich dessen bewusst ist und etwas damit anfangen kann, der wird ab der ersten Minute gefesselt von diesem aussergewöhnlichen Kinoerlebnis sein.

Snyders Film beginnt - ein Geniestreich - mit einer aufwändig durch Zeitlupen-Effekte gestalteten Bildmontage, welche den Zuschauer in das Watchmen-Universum einführt. Zum Song "The Times They Are A-Changin" von Bob Dylan sehen wir in einem Überblick über die alternative Vergangenheit Amerikas, wie die kostümierten Möchtegern-Helden das erste Mal auftreten, Verbrecher jagen, anfangs die Massen begeistern und schliesslich die Kontrolle verlieren über die Ereignisse, die sie in Gang gesetzt haben, bis die geheimen Identitäten wegen den Unruhen verboten werden. "Watchmen" ist ein knallhartes, beinahe dystopisches Gegenwarts-Szenario, eine Anti-Utopie über eine Welt, in der amerikanische Traum versagt hat und nur der Zynismus zuletzt lacht.


Der einzige, der übrig geblieben ist aus dem Bunde, der noch immer nachts durch die Strassen zieht und für Recht und Ordnung sorgt, ist Rorschach, ein mit einer (von wechselnden Rorschach-Kleckern befleckten) Maske vermummter Mann von knallhartem Gerechtigkeitssinn, Hass gegenüber der Gesellschaft und extremer Brutalität. Wie alle Superhelden ausser Dr. Manhattan besitzt er keine übernatürlichen Kräfte und setzt stattdessen auf seine Fähigkeiten im Nahkampf und der Verbrecheraufspürung. Es sind seine Tagebucheinträge, die das Grundgerüst der Story bilden. Diese Story ist zwar nicht so komplex wie im Comic, der mit zahlreichen Zeitebenen arbeitet, dennoch besteht der Plot zu einem grossen Teil aus Rückblenden und spielt nur in der zweiten Hälfte überwiegend im (aktuellen) Jahr 1985. Die eigentliche euphorisch stimmende Nachricht ist, dass Snyder und seinem Team, inklusive Drehbuchautor David Hayter ("X-Men 1&2"), das gelungen ist, worauf man gar nicht so recht zu hoffen wagen wollte: Ein Comic, der als Film funktioniert.
Natürlich birgt das Medium der Comics (insbesondere sogenannte Graphic Novels) Facetten, Stilmittel und formale Gestaltungsmöglichkeiten, die sich schlicht und einfach nicht auf die Leinwand übertragen lassen, dies versucht Snyder aber auch gar nicht erst. Seine "Watchmen"-Verfilmung ist dennoch ein Experiment, das viel grössere Risiken mit sich trägt als "300", weil sich Snyder voll und ganz auf die Geschichte der Vorlage stützt und diese praktisch 1:1 übernimmt. Abgesehen davon, dass gewisse Elemente aus Zeitgründen einfach gestrichen werden mussten, wurden die Dialoge kaum abgeändert und - wie es auch schon bei Sin City und "300" der Fall war - viele Panels des Comics exakt "nachgestellt". Bei einer als unverfilmbar geltenden Vorlage ein mutiger und auch riskanter Schritt von Snyder, der sich auszahlt: Der Film funktioniert. Abgesehen vom Schluss, der dann wirklich etwas zu lang geraten ist, geht das dramaturgische Konzept vollends auf und bietet eine inhaltliche Reichhaltigkeit und Unlinearität, wie es im Superhelden-Blockbusterkino mehr als ungewöhnlich ist.

Das Herz von "Watchmen" - ob Film oder Comic - sind die Charaktere. Schliesslich hat Alan Moore mit seinem Meisterwerk endgültig bewiesen, dass auch Comics ein hohes literarisches Niveau erreichen können, und ging dementsprechend sorgfältig bei seinen Figuren vor. Auch Snyder zeigt hier ein sehr geschicktes Händchen, indem er einen hervorragenden Cast zusammentrommelt und jedem der sechs Watchmen genug Raum zur Verfügung stellt. Im Laufe des Filmes werden sie alle in mehr oder weniger linearer Abfolge eingeführt und zu jedem in einer Rückblende die Hintergrundstory erklärt.
Der Comedian und Rorschach sind die beiden düsteren Figuren der Ex-Truppe. Der Film beginnt mit der Ermordung des Comedians, welcher in seiner Wohnung, wo in Zurückgezogenheit ein einsames Dasein fristet, von einem Unbekanntem aus dem Fenster gestossen wird - eine Szene, die übrigens mindestens so cool geraten ist wie die "This is Sparta"-Szene aus "300". Im Gegensatz zu den anderen hat er seine idealistischen Vorstellung von den Superhelden als Weltverbesserer ziemlich schnell aufgegeben angesichts Schrecken wie im Vietnamkrieg und wurde zu einer zynischen Parodie auf den amerikanischen Heldenmythos, ein brutaler Kraftprotz von äusserster Körperlichkeit, dessen Rolle von Jeffrey Dean Morgan voll und ganz ausgefüllt wird.
Auch Rorschach pflegt ein recht unverblümtes Weltbild, das etwa aus einem tiefen Hass gegenüber dem menschlichen Abschaum besteht, weshalb er gelegentlich als Nazi bezeichnet wird. Doch gerade sein unerbittliches Vorgehen und unerschütterliches, konsequentes Denken machen ihn zu einem äusserst effizientem Kämpfer für die Gerechtigkeit, der sich im Gegensatz zu anderen nicht vom öffentlichen Ruhm blenden lässt. Zwar ursprünglich nur Snyders zweite Wahl, erweist sich Jackie Earle Haley als ideale Besetzung, auch wenn sein Gesicht kaum zu sehen ist, da er die Ambivalenz der Figur vor allem in der zweiten Hälfte transportieren kann und eine überaus atmosphärische Erzählstimme abgibt.
Sein Kollege aus "Little Children", Patrick Wilson, spielt die Rolle des Nite Owl. Vom Äusseren her mit dem Vogelkostüm an Batman angelehnt, stellt sein Charakter eine überspitzte Version von Clark "Superman" Kent dar; ein schüchterner, brillentragender Stadtneurotiker, dem nur das Heldenkostümd ein Gefühl von Männlichkeit verleiht.
Auch bei Silk Spectre scheinen vor allem jugendlicher Leichtsinn und Neurosen dazu geführt zu haben, dass sie sich damals auf diese Maskerade eingelassen hat - nebst, dass schon ihre Mutter in der ersten Watchmen-Generation diesen Posten übernommen hatte. Malin Akerman spielt die erwachsen gewordene und von ihrem Leben gelangweilte Latex-Amazone sehr intim und einfühlsam - und sieht dabei auch noch umwerfend aus. Sie stellt den sympathischsten Charakter dar, der dem Zuschauer einen gewissen Halt gibt in einer Welt der zerstörter Träume und demontierten Ideale.
Ihr Filmpartner, der blau glühende Übermensch Dr. Manhattan, stellt geradezu ein Gegenpol zu ihrer Menschlichkeit dar. Er basiert auf dem vielseitig verwendeten Comichelden Captain Atom und erlangte durch radioaktive Verstrahlung Superkräfte (als einziger der Watchmen), die ihm die totale Kontrolle über Materie erlauben. Mit seinen einmaligen Dialogzeilen, seiner bewegenden Rückblende und der grandiosen Szene auf dem Mars, verkörpert er den philosophischen Kernpunkt der Geschichte, welche den Zuschauer je länger je mehr in ein moralisches Dilemma manövriert.
Am wenigstens einfühlsam charakterisiert wurde sicherlich Ozymandias, was aber in der Geschichte dennoch funktioniert. Er gilt als klügster Mensch der Welt, hat aus seinem Superhelden-Status ein Vermögen gemacht und sieht sich selbst als die Reinkarnation von Alexander dem Grossen.


Es sind also in erster Linie drei Kernpunkte, durch welche sich Snyders "Watchmen" von allen bisherigen Superheldenfilmen abgrenzt: Die komplexe, intellektuelle Story, die schillernden Antihelden und die moderne Optik. Mit letzterer beweist Snyder ein weiteres Mal, wo seine wahren Stärken liegen. Dadurch ist "Watchmen" eine unvergessliche Reise in eine düstere Comicwelt geworden, ein hypnotisierendes Werk und ein Vorbote, wie das Kino von morgen aussehen kann. Warum einen der Film derart faszinieren kann, wenn man sich auf ihn einlässt, liegt in Snyders Kunstfertigkeit zu Grunde, einzelne Szenen optimal herauszuarbeiten und geradezu ins Gedächtnis des Zuschauers einzubrennen. In vielen Fällen gelingt ihm, dem ehemaligen Werbefilmer, das auch durch die sehr bewusste Verbindung von Bild und Ton. Damit gemeint sind nicht nur sein Markezeichen, die berauschenden Zeitlupeneffekte, sondern auch die Songs, die er neben dem Soundtrack von Tyler Bates auswählte. Natürlich, Snyder ist kein Tarantino und manche mag der Einsatz von Nenas "99 Luftballons" etwas überrumpelt haben, aber zeitweise erreicht Snyder beinahe Leone'sche Perfektion, wenn es darum geht, atmosphärisch stimmige Bilder zu einem Stück zu komponieren. So ist es grandiosen Stücken wie Leonard Cohens "Hallelujah", Simon and Garfunkels "The Sound of Silence" und - wie erwähnt - Bob Dylans "The Times They Are A-Changin" zu verdanken, dass "Watchmen" Filmmomente bietet, die für die Ewigkeit geschaffen sind.
Zudem erhält man als jüngerer Zuschauer ein gewisses Gefühl davon, was für ein Klima während dieser Epoche herrschte. Schade ist einzig, dass der pulsierende Song von Smashing Pumpkins aus dem Trailer im Film nicht zu hören ist.

Vielleicht bringt dies aber auch ein grundlegendes Problem zum Ausdruck, das man mit Snyder als Künstler haben kann. "Watchmen" ist ein ungewöhnlicher, ausserordentlich gelungener Film geworden, doch geht das nicht in erster Linie auf Alan Moores Kappe? Hat Snyder mehr geleistet, als akribisch genau aus starren Bildern bewegte Bilder zu machen? Ja, das hat er. Er hat ein hervorragendes Team zusammengetrommelt, eine Vorlage auf die Leinwand gebracht, welche nicht für die Leinwand gedacht ist, er hat eine geniale Geschichte in eine würdige Filmform transformiert und er hat bewiesen, dass Superheldenkino viel mehr sein kann plumpes Effektspektakel. Gleichzeitig legt er aber auch die Vermutung nahe, dass der Regisseur Zack Snyder schlussendlich lediglich so gut ist wie der Stoff, der ihm vorgelegt wird.

Die Filmversion von "Watchmen" ist ein Genuss, ein visuell und philosophisch hoch interessantes Stück Kino, schlussendlich fällt es trotz allem wahrscheinlich leichter, Snyders Film nicht zu mögen, als ihn zu mögen. Mit seinem mutigen Drahtseilakt fällt Snyder nämlich etwas zwischen Stuhl und Bank. Während die kompromisslosen Comic-Puristen ihren heiligen Gral weiterhin als unverfilmbar erachten, da jener - wie erwähnt - nur auf dem Papier zur Geltung kommende Finessen bietet und der Puzzle-Effekt der Vorlage im Kino nicht so ganz zum Tragen kommt, so wäre es eine Illusion, zu glauben, dass sich die breite Masse für einen solch schwierigen Stoff erwärmen liesse. Die Zahlen aus der USA sprechen eine ähnliche Sprache. Dort erzielte "Watchmen" in der ersten Wochenende einen sauberen Gewinn, stürzte jedoch schon eine Woche darauf um 70% ab und wird kaum über die 200-Mio-Dollar Grenze hinauskommen. Den Erfolg der Vorlage wie erhofft auf die Leinwand zu transportieren, ist demnach nicht gelungen. Dies braucht den Filmfan aber nicht zu kümmern, solange Snyder in Zukunft weiterhin die richtigen Stoffe unter die Finger bekommt.

"Watchmen" ist grosses, düsteres, optisch und inhaltlich überragendes Kino, das Superhelden einmal in ganz anderem Licht darstellt. Eine nicht perfekte, aber würdige Umsetzung eines genialen, aber schwierigen Stoffes.

ca. 9 von 10 Punkten

"Tonight, a comedian died in New York."

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