Samstag, 21. Februar 2009

Slumdog Millionaire (Kino Review)



Slumdog Millionaire

Morgen ist es so weit, dann werden die viel umworbenen Oscars verteilt. Zwar heimste The Curious Case of Benjamin Button die meisten Nominierungen ein, als Kronfavorit insbesondere für die Hauptkategorie "Bester Film" gilt jedoch Slumdog Millionaire.

Der in Indien gedrehte Film handelt vom bisher größten Tag im Leben von Jamal Malik: Nur noch eine Frage trennt ihn vom Hauptpreis, den 20 Millionen indische Rupien, in der Fernsehsendung „Who Wants to Be a Millionaire?“. Doch warum sollte ausgerechnet ein ehemaliger Straßenjunge aus Mumbai als erster die Millionenfrage richtig beantworten? Für den Moderator der Show, Kumar Prem, gibt es keinen Zweifel, dass es sich bei Jamal um einen schamlosen Betrüger handelt. Doch in Rückblenden werden Abschnitte aus Jamals bewegtem Leben erzählt, welche seine ganz persönliche Beziehung zu jeder einzelnen Frage verdeutlich. Alles beginnt im Armenviertel des ehemaligen Bombays mit einer Schulstunde über das Buch "Die drei Musketiere"...
(frei nach Wikipedia)

Dass es sich bei Danny Boyle um einen Ausnahmeregisseur handelt, ist unbestritten. Zwar hat sich der Brite auch schon mal Fehlgriffe geleistet und mag nicht ganz so durchschlagend erfolgreich sein wie etwa sein Landsmann Christopher Nolan (The Dark Knight), konnte jedoch stets mit seinem eigenwilligen visuellen Stil punkten. Und nach dem furios-genialen Trainspotting war man auch gewillt, ihm das eine oder andere zu verzeihen. Es ist ihm jedenfalls zu gönnen, dass er mit "Slumdog Millionaire" einen verblüffenden Überraschungserfolg verzeichnen konnte. Der lediglich 15 Millionen Dollar teure Film mit keinem einzigen bekannten Darsteller startete in der USA anfangs nur in ganz wenigen Kinos und wurde von der grossen Masse kaum wahrgenommen. Dank geradezu euphorischen Kritiken und Mund-zu-Mund-Propaganda stiegen die Besucherzahlen jedoch stetig an und spätestens, als er am 11. Januar für zehn Oscars nominiert wurde, hatte jeder von dem Film gehört.

Es ist auch überaus offensichtlich, weshalb "Slumdog Millionaire" sowohl das amerikanische Publikum als auch die Mitglieder der Oscar-Academy derart begeistert. Nicht erst seit Rocky ist es weltbekannt, dass sogenannte "Underdog-Geschichten" in Übersee eine besondere Stellung haben, da diese eskapistischen "Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär"-Märchen den amerikanischen Traum am deutlichsten überhaupt verkörpern. "Slumdog Millionaire" macht allein schon im Titel klar, dass er sich genau in dieser Schublade gehört - "Slumdog" ist schliesslich die abwertende Bezeichnung der Slumbewohner Mumbais. Und der Film fühlt sich ausserordentlich wohl dort. Seine Handlung ist so banal wie effektiv, da Drehbuchautor Simon Beaufoy genau weiss, was die Merkmale solcher American Dream-Filme sind und wie auf geschickte Weise mit ihnen zu spielen ist. Die entscheidende Eigenschaft von "Slumdog Millionaire" ist und bleibt schlussendlich der orientalische Flair, den er durch Indien als Standort seiner Geschichte erhält. Basierend auf dem indischen Roman Q & A, liegt der Erfolg des Filmes vermutlich in dem Prinzip zu Grunde, dass er die Merkmale eines klassischen amerikanischen Kinomärchens, eine bewegte Lebensgeschichte, in ein ungewohntes Umfeld versetzt. Es schien Boyles Anliegen gewesen zu sein, einen Film zu drehen, der sowohl offensichtlich typisch indisch als auch amerikanisch ist. Eine Zelluloid-Hochzeit von Bollywood und Hollywood sozusagen.

Dies ist ihm auch ausgesprochen gut gelungen. Zum einen bietet "Slumdog Millionaire" unzählige unverkennbare Bollywood-Aspekte, am deutlichsten in der Liebesgeschichte zwischen Jamal und Latika, zum anderen wurde auch stets darauf geachtet, dass Berührungsängste auf der Seite des westlichen Publikums vermieden werden. Somit wurden etwa Tanz- und Singszenen gänzlich vermieden und Jamal so charakterisiert, dass er im Sinne der westlichen Mentalität sofort Vertrautheit und Sympathie weckt. Ähnliches spielt sich auf formaler Ebene ab, wo die opulenten, farbenfrohen Bilder Indiens mit dem modernen Inszenierungsstil von Boyle kombiniert wurden, was eine äusserst interessante Mischung ergibt.

Zwar ist "Slumdog Millionaire" kein Blockbuster der grossen amerikanischen Filmstudios, sondern eine Independentproduktion und somit ein eher überraschender Kronfavorit der kommenden Oscarverleihung, ihn dem Arthous-Kino zuzuordnen, wäre dennoch mehr als abwegig. Schlussendlich möchte Boyle in erster Linie einen publikumswirksamen Film machen, der die Massen begeistert. Dieses Mainstream-Anliegen spiegelt sich auch deutlich in der Handlung wieder, welche im Endeffekt alles andere als ungewöhnlich oder innovativ ist. Doch vielleicht ist genau dies der Trick von "Slumdog Millionaire" - er verpackt seinen simplen, ehrlichen und unschuldig anmutenden Kern in eine mit vielen Ideen und aussergewöhnlicher Handwerkskunst ausgestattete Hülle. Das macht ihn dann auch für die Academy so attraktiv. Die Handlung ist wie erwähnt simpel, doch Simon Beaufoy - zuvor schon für The Full Monty mit einer Oscarnomination geehrt - erzählt sie sehr gekonnt, nämlich so verschachtelt, dass jeweils zu jeder Frage in einem Rückblick der Lebensabschnitt Jamals erzählt wird, welcher ihm die richtige Antwort "liefert". Trotz Vorhersehbarkeit stellt sich dies vor allem in der ersten Hälfte als lumpenrein spannend heraus. Was dem Film bei der Academy auf jeden Fall ebenfalls Pluspunkte verschaffte, ist seine Naivität und die Tatsache, dass er sich dessen stets bewusst ist. Je länger je mehr "Slumdog Millionaire" auf sein von überdeutlichem Eskapismus geprägtes Ende zuschreitet, so platziert Beaufoy dazu geschickt auch ein Fragezeichen zwischen den Zeilen, während in der ersten Hälfte der Sog der Story zu einem grossen Teil durch das energiegeladene Wechselspiel zwischen aus Kinderaugen gefilmten Feelgood-Szenen und vergleichsweise harten Szenen entsteht, die dann doch wieder das brutale, dreckige Leben in den Slums schonungslos darstellen.

Der eigentliche Meister am Werk war jedoch Danny Boyle selbst. Er schafft es, durch seine kennzeichnende Handkamera-Optik, dem immensen Tempo des Filmes und der Atmosphäre, die beinahe greifbar das Gefühl von orientalischen Orten vermittelt, "Slumdog Millionaire" zu einem reinen Genuss zu machen, welcher den Zuschauer an einem grauen Regentag die Welt da draussen vergessen lässt. Dies beginnt schon mit der ersten Sekunde des zweistündigen Filmes, als sich der Zuschauer nach einem kurzen Prolog plötzlich in einer wilden Verfolgungsjagd durch die heruntergekommenen Baracken der Slums wiederfindet. Es sind die Actionszenen, die mit der hektischen Kameraführung und dem wahnsinnig hämmerndem Sound ein pulsierendes, unglaublich heftiges Tempo entwickeln, das ohne wenn und aber mitreisst. Ab da ist man dabei, klammert sich am Kinosessel fest und fiebert mit Jamal mit - genau wie die Zuschauer von "Who Wants to be a Millionaire?".
Ohne Frage, "Slumdog Millionaire" ist ein visueller Rausch sondergleichen, mit vielen guten Ideen, augenzwinkerndem Humor, wirkungsvollem Soundtrack und passenden Schauspielern kombiniert, die eigentliche Frage bleibt jedoch: Ist die Euphorie in Übersee deswegen gerechtfertigt? Tatsächlich muss man ehrlich betrachtet zugeben, dass Boyle nicht viel mehr als ein innovativ umgesetztes Feelgood-Movie abgeliefert hat. Bis zum Ende vollständig zu überzeugen vermag "Slumdog Millionaire" leider nicht, geschweige denn erreicht er eine filmhistorisch bedeutende Grösse wie Nolans Meisterwerk The Dark Knight.
Aber spielt das wirklich eine Rolle? Kann man sich nicht einfach bedenkenlos zurücklehnen und Danny Boyles neuster Film geniessen? Doch, das kann man, sehr gut sogar. Schlussendlich bleibt "Slumdog Millionaire" eine farbenfrohe Verschmelzung der Kulturen, eine ehrliche, kraftvolle Liebesballade zwischen Shahrukh Khan und Moulin Rouge. Dies darf meinetwegen auch mit einigen Goldmännchen gewürdigt werden.

"Slumdog Millionaire" ist ein Kinomärchen, das mitreisst. Nicht mehr, nicht weniger.

abgerundet ca. 8 von 10 Punkten

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