Montag, 16. Februar 2009

The Curious Case of Benjamin Button (Kino Review)



The Curious Case of Benjamin Button

David Fincher ist bekanntlich immer für eine Überraschung gut. Nach grossartigen Werken wie Fight Club oder Zodiac durfte man der Verfilmung von Roman-Gigant Scott Fitzgeralds Kurzgeschichte The Curious Case of Benjamin Button mit hohen Erwartungen entgegensehen. Diese schienen sich nachdrücklich zu bestätigen, als der Film mit den Superstars Brad Pitt und Cate Blanchett in den Hauptrollen am 22. Januar für sagenhafte 13 Oscars nominiert wurde.

Handlung:
Benjamin Button ist bei seiner Geburt im Jahre 1918 in New Orleans von seinem Geist und seiner Körpergröße her ein Baby, trägt jedoch die körperlichen Merkmale eines alten Menschen (körperliche Gebrechen, Alterssichtigkeit usw.). Er gleicht einem 85-jährigen Mann und wird im Laufe seines Lebens immer jünger. Benjamins Mutter stirbt bei der Geburt und der vom Anblick seines Sohnes entsetzte Vater, ein reicher Fabrikant, legt das Kind an der Schwelle eines Altenpflegeheims ab. Die afroamerikanische Betreiberin nimmt das Findelkind auf und es wächst dort auf. Im Heim lernt Benjamin als Kind die fünf Jahre junge Daisy – die Enkelin einer Heimbewohnerin – kennen.
(frei nach Wikipedia)

Wider Erwarten fällt es relativ schwer, Finchers neuen Film in eine Sparte einzuordnen. Grundsätzlich wäre man nämlich gewillt, ihn ob der zahlreichen eindeutigen Hollywood-Merkmale - eine persönliche Handlung vor dem Hintergrund historischer Ereignisse, eine lange verhinderte Liebe, ein oder zwei grosse Filmstars, grosses Budget, Gefühlsbetonung etc. - in das klischeebeladene Fach der grossen, klassischen Leinwand-Epen zu packen, die von Natur aus auf die Oscarverleihung schielen, wie etwa "Out of Africa", "The English Patient" oder Forrest Gump. Doch wenn man sich im Kino befindet, beschleicht einen sehr bald das Gefühl, dass man Finchers Film damit nicht gerecht würde. Dies beginnt und endet vermutlich mit der gelungenen Wahl der Hauptdarsteller - durch Pitt und Blanchett zwei Grössen, die zuvor schon unter Beweis gestellt haben, dass sie mit ihrem Können auch aus vermeintlich oberflächlichen Schinken einiges herauszuholen vermögen. Vor allem Dank dem zurückhaltenden, differenzierten Schauspiel von Pitt driftet "The Curious Case of Benjamin Button" nie in überzogene Dramatik ab. Hinzu kommt, dass Fincher dem Film ein erstaunlich gemächliches Tempo zu Grunde gelegt hat. Das Endergebnis ist ein Werk, das gewiss für die grossen Säle und Massen angelegt ist, jedoch zu jedem Zeitpunkt von - mindestens - einem Hauch von Anspruch getragen wird und recht konsequent sein eigenes Ding durchzieht - notfalls auch zwei Fingerbreit abseits des Mainstreams.

Und trotzdem, gerade weil Fincher die Story durch und durch als Märchen für Erwachsene erzählt, entpuppt sich "The Curious Case of Benjamin Button" schlussendlich als Erlebniskino in Reinform, das in erster Linie seine Zuschauer verzaubern und im Fluss der Geschichte mitschweben lassen will. Obwohl die Weltreise des Benjamin Button - übrigens eine herrliche Alliteration - überaus gemächlich beginnt, gelingt dies gerade im ersten Drittel des Filmes ausgezeichnet. Die Geschichte nimmt ihren Lauf in den Südstaaten der Zeit nach dem ersten Weltkrieg, wo Benjamin unter wunderlichen Umständen aufwächst - in einem Altersheim, in der Allgegenwärtigkeit des Todes, der Vergänglichkeit. Hier macht der Film auch am meisten Spass, dank der paradoxen Situation, dass der Zuschauer zusammen mit Benjamin das Leben von der umgekehrten Richtung als gewohnt kennenlernt. Wie Benjamin, voller kindlicher Neugier in seinen vermeintlich alten Knochen, langsam aber sicher die Welt ausserhalb des Heimes zu erkunden beginnt und sich immer weiter aus dem Fenster wagt, gepaart mit feinem, unterschwelligen Humor, so wird das Ziel hundertprozentig erreicht, den Zuschauer mit diesem curious case mitfühlen und mitleben zu lassen.
Sobald sich Benjamin dann zur See begibt, kommt neuer Schwung in die Story, jedoch immer noch ohne jeglichen Drang zur Hektik oder Effektlastigkeit. Im Endeffekt hat "The Curious Case of Benjamin Button" keine schnelle, laute Erzählweise nötig, weil die Geschichte, die er erzählt, eine ruhige Geschichte ist. Es ist die Geschichte zweier Menschen, die im Laufe ihres Lebens eine in bizarrster Weise gegensätzliche Entwicklung vollziehen und beide auf jeweils ihre Art den unaufhaltbaren Veränderungen unterworfen sind.

Natürlich, es geht in dem Film um die Zeit, die Vergänglichkeit und den Tod, anderseits auch um den freien Entscheidungswillen des Menschen, bleibende Momente, Hoffnung, Träume und die Liebe, aber letztendlich spielt das für Fincher gar keine so grosse Rolle. Ihn interessiert weniger das was und warum, denn das wie. Statt in vielschichtiger Weise die Bedeutung der Situation des Rückwärtslebens auszuloten, will er in erster Linie eine Geschichte, ein Märchen erzählen.
Abgesehen von der Grundidee, welche aus der Kurzgeschichte stammt, lässt sich "The Curious Case of Benjamin Button" nämlich mehr als formales denn als inhaltliches Ereignis bezeichnen. Das Drehbuch ist vor allem in der ersten Hälfte zwar sehr charmant und solide, bietet jedoch nicht viel neues - schon gar nicht im direkten Vergleich mit Robert Zemeckis' Meisterwerk Forrest Gump. Die offensichtlichen, nicht wegzuschweigenden Parallelen liegen wahrscheinlich daran, dass mit Eric Roth beide Male der selbe Autor am Werk war. Es ist somit Finchers Verdienst, dass sich Benjamin trotzdem in seinem Gesamtbild stark von Forrest abhebt.
Finchers Markezeichen, Atmosphäre und Optik, bringt er hier einmal mehr beinahe zur Perfektion. Als glühender Verehrer und Verfechter von Spezialeffekten war er hier offensichtlich bestrebt, etwas aus dem Budget (150 Mio Dollar) herauszuholen, das man so bisher noch nicht auf der Leinwand gesehen hat. Gelungen ist ihm dies ganz ohne Frage. Durch unverwechselbare Farbgebung, Lichtführung und Kulissen entsteht eine bemerkenswerte Atmosphäre, welche den grandiosen Bildern einen ganz eigenen, magischen Touch verleiht. Fincher versucht gar nicht erst, die CGI-Lastigkeit seines Filmes zu verstecken, sondern benützt diese bewusst als Stilmittel. Nicht nur die digital restaurierten, historischen Orte sind ein Augenschmaus, auch die extreme Alterung und Verjüngung von Brad Pitt wurde fabelhaft umgesetzt. Formal gesehen ist "The Curios Case of Benjamin Button" von A bis Z tiptop.

Damit gelangt man aber wieder an den Punkt, der das eigentliche Problem des Filmes darstellt: Inhaltlich ist da manchmal nicht wahnsinnig viel los. Nach einer sehr guten ersten Hälfte, hängt die Geschichte in der zweiten ab und zu etwas, worüber auch ein noch so grosser Aufwand von Finchers Seite nicht hinweg täuschen kann. Man könnte sogar behaupten, je näher die als Rückblende erzählte Story dem eigentlichen Handlungsstrang in der Gegenwart kommt, je mehr verliert der Film seine Magie und seinen schrulligen Charme. Tatsächlich bekommt man gegen Schluss sogar den Eindruck, die letzte Lebensphase von Benjamin wurde etwas lustlos abgehakt. Gerade, wenn man den Vergleich mit "Forrest Gump" zu Rate zieht, fällt auf, dass weder die einzelnen Episoden im Detail völlig überzeugen, noch der Zeitgeist des jeweiligen Jahrzehnts vergleichsweise spürbar eingefangen wurde. Auch die eigentliche Figur des Benjamin Buttons scheint mit der Zeit leicht vernachlässigt zu werden, wobei die beiden interessantesten Nebenfiguren, die Heimbetreiberin Queenie und der Kutterkapitän Daws, ihre besten Momente ebenfalls vor der Pause haben.

Wirklich langweilig oder belanglos ist Finchers Film deswegen aber trotz allem zu keinem Zeitpunkt. Alleine dank einem unverwechselbaren Brad Pitt wird das Ziel erreicht, den Zuschauer psychisch mit Benjamin mitwachsen zu lassen. Zusammen mit einer gewohnt soliden Cate Blanchett bilden die beiden ein Leinwand-Traumpaar, das sich dennoch nie im Kitsch verläuft und dem man gerne auch knappe drei Stunden zusieht. Ausserdem bietet der Film ohne Frage einige spezifische Szenen, die ausserordentlich gut gelungen sind. Stellt sich jedoch die Frage nach den Oscars, so muss man einräumen, dass der Film zwar im technischen Bereich Auszeichnungen verdient hat, aber kaum als besten Film des Jahres in Frage kommt. Allerdings wäre ein Goldmännchen für David Fincher, sei es auch nur als Würdigung vergangener Arbeiten, auch nichts abwegiges.

"The Curious Case of Benjamin Button" ist Kinomagie pur, optisch brilliant und vor allem in der ersten Hälfte von schrulligem Charme beflügelt, teilweise jedoch inhaltlich zu seicht. Ein Film über die Unvergänglichkeit der Liebe im unaufhaltbaren Wandel der Zeit.

ca. 8 von 10 Punkten

PS: Did I ever tell you I was struck by lightning seven times?

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