Donnerstag, 7. Oktober 2010

Adopted (Kino Review)



Adopted

Adopted wurde im Rahmen des 6. Zurich Film Festival gezeigt.

Inhalt:

Bei gewöhnlichen Adoptionsvermittlungen sieht es normalerweise so aus, dass weisse, westliche Familien Kataloge mit Bildern von schwarzen, afrikanischen Kindern durchsehen. Doch es geht auch anders! Die Organisation ADOPTED dreht den Spiess um und bietet einsamen, der hiesigen Gesellschaft überdrüssigen Westeuropäern die Möglichkeit, sich von einer afrikanischen Familie adoptieren zu lassen.
Der Film porträtiert das Schicksal von Ludger, Gisela und Thelma, die sich von Deutschland aus aufmachen, um bei drei verschiedenen Familien in Ghana zu leben. Während der Schauspieler Ludger dort das echte Lebensglück zu finden hofft, steht die Rentnerin Gisela seit dem Tod ihres Mannes einsam und ohne Perspektive im Leben da. Thelma hingegen kommt ursprünglich aus Island, hält nichts von materiellen Werten und möchte vor allem Menschen aus der ganzen Welt kennenlernen. Werden die drei finden, wonach sie suchen?

Kritik:

Die Ausgangslage von Adopted hat sicherlich etwas Ironisches. Ohne Zweifel ist auch die Wahl des Titels und des Werbeposters darauf ausgelegt, durch das "Einmal verkehrt herum"-Prinzip Aufmerksamkeit zu erregen. Schliesslich scheint Regisseurin Gudrun F. Widlok, die zusammen mit Rouven Reich das Projekt leitete, den Anspruch zu haben, beim Zuschauer eine möglichst tiefgreifende Reflexion über das Verhältnis der beiden Kulturen auszulösen. Grundlage bietet dabei die provokante Frage, ob das persönliche Glück nicht eher im sozial eng verknüpften afrikanischen Dorfleben als in den isolierten Grossstadtwohnungen des Westens zu finden sei.

Die grösste Gefahr besteht dabei darin, dass man sich als westlicher Zuschauer den romantisch-verklärten Vorstellung der afrikanischen Gesellschaft hingibt. Zu Beginn gestaltet sich der Film diesbezüglich auch ziemlich einseitig und nährt diese subjektiven Bilder mehr, statt ihnen die ungeschönte Realität entgegenzusetzen. Selbstreflexion ist jedoch durchaus vorhanden, wenn etwa Ludger bemerkt, dass es eigentlich ein Zeichen unserer Verwöhntheit ist, wenn wir freiwillig unser begütertes Leben aufgeben, um in ärmlichen Verhältnissen leben zu wollen.

Das Beste an Adopted ist die Unmittelbarkeit, mit der uns die Kamera in das Geschehen versetzt. Als Zuschauer ist man verblüffend nahe an den Protagonisten dran, versteht ihre Beweggründe und fühlt mit ihnen mit. Wie sie alle anfangs mehr oder weniger grosse Anlaufschwierigkeiten haben, so fühlt man sich auch als Zuschauer fremd in der neuen Umwelt und lernt die Adoptivfamilien erst mit der Zeit kennen und schätzen. Dabei werden die drei Geschichten, die in der Realität nicht gleichzeitig stattfanden, auf geschickte Weise nebeneinandergeschnitten und verweben sich zu einem facettenreichen, spannenden Gesamtbild. Trotz der Tatsache, dass mit kleinen und qualitativ nicht überragenden Camcordern gefilmt wurde, entsteht ausserdem eine geradezu fühlbare Atmosphäre des Dorf- und Stadtlebens in Ghana. Gestärkt wird sie durch den Kontrast zu den Bildern aus Deutschland, die am Anfang gezeigt werden. Auch die Musik leistet einen bemerkenswerten Beitrag dazu, Stimmung zu erzeugen.

Beim einen oder anderen Zuschauer mögen sich bereits während dem Film Zweifel hegen, ob die dargestellte Organisation in der Realität tatsächlich existiert oder ob es sich hier mehr um eine Art Mockumentary handelt. Verliessen die Protagonisten ihre Heimat wirklich in der Absicht, für immer in Ghana bleiben? Solche Vermutungen sind jedenfalls nicht ganz abwegig, denn die Idee begann ursprünglich tatsächlich als Kunstprojekt und nahm erst später reale Formen an. Aber darum geht es auch gar nicht. Es geht viel mehr um die Utopie, dass sich der Zuschauer mindestens einen Augenblick lang selbst vorstellen kann, hier und jetzt alles aufzugeben und sich von einer afrikanischen Familie adoptieren zu lassen. Dies gelingt dem Film eindrucksvoll.

ca. 7 von 10 Punkten

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