Samstag, 3. Oktober 2009

Cargo (Kino Review)



Cargo


Ein Schweizer Science Fiction-Film! Hätte vor 10 Jahren jemand davon zu träumen gewagt? Ja, hätte jemand. Dieser jemand heisst Ivan Engler und hat vier Jahre lang zusammen mit Produzent Marcel Wolfisberg an der Idee getüftelt, den Schweizer Film in eine völlig neue Sphäre vorstossen zu lassen, sozusagen die Filmlandschaft Schweiz um die Unendlichkeit des Alls zu erweitern. Nun, fünf Jahre und eine nicht ganz krisenfreie Produktionszeit später, ist sein Werk endlich vollendet und Cargo ist in den Kinos gestartet. Es ist Zeit, Hand aufs Herz zu legen und sich abseits aller nationalen Sympathiegefühlen zu fragen: Was taugt er wirklich, dieser erste Schweizer Science Fiction-Film?

Handlung:
Es ist das Jahr 2237. Nachdem die Erde nach einem Öko-Kollaps unbewohnbar geworden ist, leben die verbliebenen Menschen auf überfüllten Raumstationen im All. Die junge Ärztin Laura Portmann ist eine von ihnen. Da sie auf eine bessere Zukunft auf dem fernen Planeten Rhea hofft, lässt sie sich auf dem heruntergekommenen Raumfrachter Kassandra anheuern, um auf dem vierjährigen Flug genügend Geld zu verdienen. Doch sehr bald wird klar, dass es auf dem Raumschiff nicht mit rechten Dingen zugeht.
(frei nach Wikipedia)

Nach den ersten Zahlen sieht es nicht danach aus, als würde "Cargo" ein grosser Kassenerfolg werden. Das ist schade und für die hiesige Filmlandschaft frustrierend, war jedoch zu erwarten. Denn der Film entpuppt sich sehr bald als das, was nach dem Trailer prognostiziert wurde und beinahe wie ein Fluch über der neuer Generation von "grossen" Schweizer Filmen zu liegen scheint: Handwerklich top, inhaltlich Flop - müsste man die Problemsituation auf eine pauschalisierende Formel bringen, wäre es wohl so zu umschreiben. Dass man Englers Traumprojekt damit nicht gerecht wird, sollte hingegen selbstverständlich sein.

Die gute Nachricht: Es hätte viel schlimmer sein können. Grösstenteils bewegt sich Englers Schiff auf solidem Kurs, ohne zuviel Risiko einzugehen, und erreicht seinen Ziel durchaus, einen Schweizer Film auf die Beine zu stellen, der alles bisher dagewesene übertrifft - sei es auch nur visuell. Die schlechte Nachricht: "Cargo" hätte viel besser sein müssen, um die Leute tatsächlich ins Kino zu ziehen und eventuell sogar jenseits der Landesgrenze erfolgreich zu sein. Der Film bietet zwar zahlreiche positiv hervorstechende Aspekte, radiert diese jedoch geradezu systematisch durch ebenso viele negative Punkte aus.

Der grösste Erfolg des Projektes ist es, dass man ihm seine wenig begüterte Herkunft nicht ansieht. Was Engeler mit seiner Crew über ein halbes Jahrzehnt aus verhältnismässig mikroskopischen 5 Millionen Franken Budget herausgeholt hat, ist gewiss beeindruckend und erstickt die meisten Gedanken, dass man eben "nur" einen Schweizer Film vor sich hat, im Keim. Die resultierenden Erwartungen, eine ausgeklügelte, spannende Story von Hollywood-Massstäben vorgesetzt zu bekommen, kann Engleler (und Co-Drehbuchautoren wie Arnold Bucher und Patrik Steinmann) hingegen auch nicht befriedigen.
Zwar geschieht sehr viel in "Cargo", nichtsdestotrotz bleibt am Ende der Eindruck, dass doch nicht wirklich etwas geschehen ist. Logiklöcher grosszügig beiseite gelassen, macht die Geschichte als Ganzes nur bedingt den Eindruck eines harmonischen Ganzen, dessen Einzelteile man auf einen packenden gemeinsamen Nenner bringen könnte. Vielmehr kommt immer wieder das Gefühl auf, dass sorgfältig aufgebaute Atmosphäre unvermittelt gestört wird - sei es nun durch deplatzierte Romantik, unnötige Hollywood-Action oder plötzliche 360-Grad-Wendungen der Story. Ein grosser Teil der zweiten Hälfte, eigentlich sogar das ganze Showdown, wirkt überstürzt erzählt, zu bemüht und unkontrolliert wird das sprichwörtliche Ruder herumgerissen.
Nicht, dass unerwartete Wendungen in diesem Genre eine schlechte Idee wären, nur müssten sie sorgfältiger eingeführt werden, um den Zuschauer nicht fahrlässig zu überrumpeln. Doch genau das tut "Cargo" und schleudert uns am Ende geradezu ins leere All hinaus, ohne genügend auf den Hintergrund der Zukunftsversion einzugehen, damit man sich richtig in diese fiktionale Welt hineinversetzen und -fühlen könnte. Davon ist bei "Cargo" leider zu wenig zu spüren. Hätte sich der Film konsequent auf das Innere des düsteren Frachters konzentriert - dessen Setdesign übrigens auch im Detail überzeugend gestaltet wurde - hätte die Sache vermutlich besser funktioniert. Doch damit schien sich Engeler nicht zufrieden zu geben und erliegt der Versuchung, nicht nur handwerklich, sondern auch inhaltlich zu den Sternen zu greifen.

Es wirkt generell so, als könne sich der Film nie richtig entscheiden. Einerseits will er Hollywood sein, anderseits auch wieder nicht; "Cargo" will beides sein, Alien und 2001, sowohl Star Trek als auch Blade Runner. Es ist nicht nötig, noch einmal zu wiederholen, auf welche Filme speziell angespielt wird - meistens ist es offensichtlich und wurde schon ausreichend dokumentiert. Darin liegt auch nicht das grundsätzliche Problem, denn der Film hätte durchaus funktionieren können als Versatzstück von 60 Jahren Weltraum-Popkultur (wie es District 9 erst kürzlich getan hat), doch in "Cargo" hat man zwar die Iris-Grossaufnahmen von "Blade Runner" und die mysthischen Wolkenformationen aus "2001", wirklich etwas damit anzufangen weiss der Zuschauer jedoch nicht, da sich Engeler dagegen wehrt, seinen Film schubladisieren zu lassen.
So funktionieren viele einzelne Szenen nach Hollywood-Schema - und an sich funktionieren sie grösstenteils - sei es nun in Sachen Weltall-Suspense, Holzhammer-Romantik oder einfach Action (welche leider etwas gar unübersichtlich inszeniert wurde), und doch schwebt über allem spürbar der Anspruch, mehr zu sein als dumpfe Daueraction. Vielmehr möchte "Cargo" auch ein Charakterdrama sein, ein düsteres Kammerspiel - nur leider fehlt von den dazu notwendigen Charakteren jede Spur.

Eine gute und notwendige Entscheidung war es auf jeden Fall, den Film in Schriftdeutsch zu drehen, dennoch gibt es nur vereinzelt lobende Worte für das Schauspielerensemble zu verlieren. Newcomerin Anna-Katharina Schwabroh verkörpert die Protagonistin Laura bewusst kalt und verschlossen. Welche Absicht auch immer dahinter liegen mag, sie bleibt schleierhaft angesichts dem resultierenden Effekt, dass der Zuschauer kaum eine Verbindung mit ihr herzustellen vermag. Selbst wenn sie es durchaus vermag, punktuell Emotionen zu bewegen, steht die meiste Zeit die eisige Luft des Frachters wie eine Barriere zwischen dem emotionalen Geschehen auf der Leinwand und dem Publikum. Auch die Figur wurde zu kalt gezeichnet und wirkt trotz klar deklarierter Motivation über weite Strecken uninteressant gestrickt und sträflich unpersönlich.
Martin Rapold gibt neben ihr auch nicht viel mehr her als ein reduzierter Matthew McConaughey, der im Hintergrund herumsteht und gut aussieht, im weiteren Verlauf der Geschichte zwar mehr ins Scheinwerferlicht gerät, dort aber nur als umso blasser erscheint. Auch der Rest der Crew bleibt auf eine oder zwei Eigenschaften beschränkt und sorgt nur begrenzt für grosse Momente, selbst bei der klassischen Duo-Konstellation der beiden Mechaniker entsteht keine spürbare Chemie. Es bleibt der Eindruck von Schauspielern, die auf einer unterkühlten, virtuellen Theaterbühne agieren.

Im Gegensatz zu Figuren und Darsteller kann man über die Optik praktisch ausschliesslich lobende Worte verlieren, worüber allerdings wohl ebenfalls schon genug geschrieben wurde. Worin der Film auf jeden Fall grandios funktioniert, ist die Einführung, wo man von Beginn weg mit einer ungeahnten Fülle an aufwändig visualisierten CGI-szenen konfrontiert wird, wie man es im Schweizer Business noch nie auch nur ansatzweise gesehen hat. Selbstverständlich kann sich kann sich "Cargo" nicht mit einem Star Trek messen, das muss er aber auch nicht. Denn dank seinen Effekten entsteht tatsächlich - in Kombination mit atmosphärisch ausgeleuchteten Setaufnahmen - ein Feeling, auf das sich der Film bis zum Schluss immer wieder stützen kann. Dadurch driftet "Cargo" trotz Handlungsschwächen zu keinem Zeitpunkt in absolute Teilnahmslosigkeit ab und kann sogar den spektakulär überspannten Schluss gerade noch so verkraften - auch wenn für manchen Geschmack an dieser Stelle der Bogen brechen mag.

So oder so, am Ende kann man nicht anders, als kopfnickend in die Hände zu klatschen angesichts des enormen Durchsetzungswillens, den es zur Fertigstellung eines solchen Projektes in der Schweiz - leider - bedarf. Trotzdem bleibt der Wunsch nach einem grossen Schweizer Film, der eben nicht nur handwerklich, sondern auch dramaturgisch vollständig überzeugt, weiterhin unbefriedigt. So ist "Cargo" zwar der beste Schweizer Science Fiction-Film bisher, aber eben auch der schlechteste.

"Cargo" ist tricktechnisch beeindruckender und optisch einprägsamer Weltall-Thriller, der leider zwischen Stuhl und Bank fällt: Für den Mainstream-Konsumenten zu düster, zu kompliziert und zu wenig actiongeladen, für Filmliebhaber und hartgesottene SciFi-Fans zu flach, zu unausgereift und zu deutlich von grossen Vorbildern inspiriert.

ca. 6 von 10 Punkten



1 Kommentar:

whaleoi hat gesagt…

Nicht durchweg, aber insgesamt sehr enttäuschender B-Film!
Habe den Film eben gesehen und bin nach anfänglicher Euphorie doch sehr enttäuscht. Zumal mir der Anfang, die ersten Minuten übermäßig gut gefallen haben und man die Bildregie durchaus als teilweise bildgewaltig bezeichnen kann, hört der gute Teil eigentlich auf sobald die Hauptdarstellerin den Mund aufmacht, sprich nach wenigen Minuten. Die Schauspieler sind ganz okay, aber vor allem das wirklich langweilige Drehbuch (mit einer Geschichte, die man schon xx-mal gesehen hat) nervt schon nach kurzer Zeit ziemlich an. Viele Momente sind schlicht gesagt öde! Was mir auch wenig gefallen hat ist die Ausstattung, dernach wir in der Zukunft praktisch ausschließlich mit hunderte von Jahre alten Geräten arbeiten, Schutzanzüge werden aus alten Anoraks gemacht, die Polizei bekommt ihre Pistolen direkt aus dem Museum und Panasonic hat wohl gerade einen Retro-Laptob rausgebracht, usw.
Der Film dürfte allenfalls ganz okay (aber auch nicht mehr) sein für Zuschauer, die sich nur ab und zu mal einen Film ansehen, für FilmFans oder erst recht SciFi-Fans ist er nicht wirklich sehenswert.
Es gibt eine Menge Filme, die ich mir noch ein zweites oder drittes+ Mal ansehen würde, habe einige wirklich gute mit Sicherheit an die hundert Mal gesehen, doch diesen Film habe ich gleich nach dem Schauen erst einmal verärgert weggelegt und würde ihn kein zweites Mal gucken wollen - womit eigentlich alles gesagt ist.