Unser Garten Eden
Handlung:
Das waren noch Zeiten, als man in seinem Schrebergarten sein eigener Herr und Meister war, als man sein Fleckchen Grün bezahlte und darauf tun und lassen durfte, was man wollte. Diese Zeiten sind längst vorbei. Heute muss sich jede Parzelle nach strengen Vorschriften richten, die von Abfallentsorgung bis hin zur Bauhöhe alles in rechtsstaatliche Schranken weisen. Und dafür zu sorgen, dass diese Regeln auch brav eingehalten werden, das ist der Job von Giuseppe Assante.
Der gebürtige Italiener, von der Mitgliederversammlung mehr oder weniger liebevoll als "Berlusconi" bezeichnet, streift in Anzug und Krawatte durch den Berner Schrebergarten und hat dabei ein scharfes Auge auf alles Nicht-Vorschriftmässige und einen helles Ohr für die alltäglichen Probleme der Hobbygärtnerinnen und -gärtner. Da gibt es beispielsweise Kroaten, die gerne einen Spanferkelgrill hätten, Muslime, denen ebendies nicht in die Schuhe passt, und Schweizer, die ihre Nachbarn verdächtigen, in der Nacht heimlich Zwiebeln zu stehlen. Kann das gutgehen?
Kritik:
Mano Khalil, selber Schrebergärtner, hat während zwei Jahren seine Mitbewohner mit der Kamera begleitet und aus dem gedrehten Material einen gut 100-minütigen Dokumentarfilm geschnitten. Erwartet man unter dem strahlend blauen Himmel das grosse Drama und explosive Konflikte, ist man schon einmal von Grund auf am falschen Ort. Statt an sensationellen Entdeckungen ist Khalil daran interessiert, einen Ort zu charakterisieren, den man genau so überall in der Schweiz vorfinden könnte, inklusive der mit ihm verbundenen Menschen. Das ist ihm gelungen. Unser Garten Eden gibt dem Zuschauer den Eindruck, selbst derjenige zu sein, der über die Hecke in den nächsten Garten späht oder mit den Nachbarn bei der Geburtstagsfeier gemütlich plaudernd am Tisch sitzt. Entstanden ist ein Film mit einer Atmosphäre von Lebensnähe, von Ungestelltheit und Natürlichkeit, der die Emotionen der Protagonisten ohne einen aufgesetzten Verstärkungsfilter auf den Zuschauer zu übertragen vermag.
Es ist nur folgerichtig, dass Khalil seinem Film keine starre Struktur zugrunde legt, sondern vielmehr Eindrücke und Lebensgeschichten sammelt, um sie zu einem facettenreichen Portrait zu verdichten. Die zentrale Figur dabei stellt "Il presidente" Giuseppe Assante dar, während daneben eine Auswahl von knapp zehn Parteien vorgestellt wird. Zwar ist durchaus ein roter Faden vorhanden - der Bau des besagten Spanferkelgrills - doch er ist alles andere als dominant und verbindet die anekdotischen Episoden und biographischen Fragmente nur lose. Leider scheinen dadurch manche Figuren eher isoliert im Raum zu stehen, und über ihr Verhältnis zu den Nachbarn hätte man gerne mehr erfahren. Die an sich stimmig gewählte Spiellänge hätte sich vermutlich durchaus mit noch etwas mehr Material füllen lassen.
Auf der ersten Blick zeigt Khalil ein beschauliches Utopia in einem grünen Meer, eine Insel des Friedens voller Beschaulichkeit und Gemütlichkeit. Auf den zweiten Blick erst erkennt man die Probleme, die sich beim Zusammenleben von Menschen so unterschiedlicher Herkunft ergeben. Dabei beginnt man zu verstehen, dass der Schrebergarten auch ein Zufluchtsort sein kann: einerseits vor dem grauen Alltag, anderseits vor der Einsamkeit der eigenen Existenz und vor den schmerzlichen Erinnerungen an eine verlorene Heimat. Gekonnt verbindet Khalil völlig ungekünsteltes menschliches Alltagsdrama mit einem gewitzten Blick auf das schrullige Völkchen der Schrebergärtner. Eine präzise Schnittarbeit und musikalische Begleitung durch Volksleider aus den Balkan runden das Gesamtbild ab.
Am Ende ist hat der Zuschauer die Wahl: Entweder er begnügt sich damit, eine interessante Reise durch eine Welt unternommen zu haben, die neben Tomaten, Kohlköpfen und Bohnen eben auch Menschen jeglicher Couleur zu bieten hat. Oder er multipliziert in Gedanken diesen Mikrokosmos auf eine Gemeinschaft von sieben Millionen Einwohnern hoch und erhält einen pfiffigen, scharf beobachteten Film, der uns so einiges erzählen kann über das Zusammenleben in einem kleinen, aber eben multikulturellen Land.
ca. 8 von 10 Punkten
Dieses Review ist erschienen auf OutNow.
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