Mittwoch, 7. Oktober 2009

Zitate aus der Kino-Debatte



Kino - Der gefährlichste Erzieher des Volkes

Eine kleine Notiz am Rande: Es ist doch erstaunlich, wie wenig der Mensch aus der Geschichte zu lernen pflegt - gerade was Erfindungen, Neuerungen und grosse kulturelle Veränderungen anbelangt. Hört man sich heute die Argumente der Befürworter von Zensur im Kino an, wenn sie über geistige Verdummung, schlechte Vorbilder und Nachahmungs-Taten klagen, so fühlt man sich doch ziemlich an die Anfänge der Kinogeschichte erinnert. Vor ziemlich genau hundert Jahren - und ohne Zweifel seither immer wieder - wurden nämlich die exakt selben Argumente gegen diese gefährliche, kulturschädigende Neuerscheinung Kino ins Feld geführt.

In der Zeit, bevor das Kino etwa 1916 im deutschsprachigen Raum als Kunstform akzeptiert wurde, herrschte die sogenannte "Kinodebatte", in deren Zuge vor allem Lehrer und Geistliche, die voller Unbehagen das neue Vergnügungsmittel der Massen beäugten, nach einer strengen Zensur, teilweise sogar Beschränkung des Kinos auf bildungstechnische Zwecke riefen. Ich möchte hier kurz einige Stellen aus damaligen Publikationen zitieren, die aus heutiger Sicht wirklich köstlich zu lesen sind:

Robert Gaupp stellt in "Die Gefahren des Kino" noch ganz nüchtern fest, was bis heute offensichtlich vollkommen unverändert geblieben ist:
"Es hat physiologische Ursachen, wenn der humoristische Film und die derbe Situationskomik die Jugend am meisten entzücken."
Weiter beobachtet er, was sich verblüffenderweise praktisch eins zu eins auf die heutige Zeit übertragen lässt:
"Die Inhaber der Kinematographentheater wissen längst, dass nicht die belehrenden Filme, sondern die derb-komischen Szenen und das Schauerdrama die Kassenstücke darstellen."
Etwas düsterer wird der Tonfall bereits wenige Seiten später:
"Die widerliche Spekulation auf die Freude des Menschen am Krassen und Schauerlichen [...] macht sich breit."
Das kommt einem doch vage bekannt vor, nicht?

Noch 1919 schrieb Clara Zerkin in Worten, die an Pathos kaum mehr zu übertreffen sind:
"Die Filmkunst spekuliert auf die niedrigsten Leidenschaften, die brutalsten Instinkte, um ein unerzogenes, sensationslüsternes, wie ein übersättigtes und stärkste nervenaufpeitschung verlangendes Publikum anzulocken und die Lichtspieltheater zu füllen. Es münzt die Schwächen, Rückständigkeiten, Entartungstriebe der Bevölkerung zu Geld, das bekanntlich nicht stinkt, auch wennn es aus Schmutz und Blut aufgehoben wird."
Ganz konkret wird Gaupp übrigens auch bezüglich Gewaltverherrlichung auf der Leinwand:
"Für noch gefährlicher halte ich die oft grauenhaft plastischen Darstellungen aus dem Verbrechenleben."
"Der Abschreckungswert des moralischen Schlusses fällt gar nicht ins Gewicht gegenüber der tiefen Wirkung, welche die Heldentaten des kühnen Verbrechers auf das jugendliche Gemüt ausüben."

"Die Zeitungen melden uns erschreckende Vorkommnisse, bei denen jugendliche Personen das im Kino gesehene Verbrechen in der Wirklichkeit nachahmen wollen."
Offenbar schien nicht einmal die - meistens - moralisierende Auflösung der damaligen Stummfilme Gaupp zu besänftigen - was hätte er da wohl zu den heutigen Splatter-Orgien wie Hostel gesagt?

Generell wirkt es so, als könne das Kino überhaupt nur destruktive Einflüsse auf die "Psyche der Masse" ausüben. Hermann Kienzl schreibt von einer "Geistesverpöbelung", Franz Pfemfert von einer "trostlosen [kulturellen] Öde unserer modernen Zeit" und gar von einem "Strudel der Trivialität", der die ganze Gesellschaft "zu verschlingen droht". Zusammenfassend stellt Gaupp fest:
"Und so wird der Inhalt des Dramas zur verhängnisvollen Suggestion für die willenlos hingegebene Psyche des einfachen Menschen."
Pfemfert fügt noch hinzu, dass er die technischen Errungenschaften des Kinos zwar würdige, macht jedoch sogleich klar:
"Aber das gleicht den Schaden nicht aus, den Kino als Erzieher im Volke angerichtet hat und anrichtet. [...] Kino ist der gefährlichste Erzieher des Volkes."
Es darf wohl behauptet werden, dass die Geschichte ihm nicht Recht gegeben hat.


Die Auszüge stammen aus dem Buch "Prolog vor dem Film. Nachdenken über ein neues Medium 1909-1914" (Amazon)

2 Kommentare:

Tom hat gesagt…

cooler beitrag...es grenzt also an ein wunder, dass wir uns auch nach 100 jahren immer noch in dunklen sälen und inzwischen auch im trauten heim "verblöden" lassen können...erschreckend, wir haben das tatsächlich überlebt...auf die nächsten 100 jahre...uncut und ohne zensur versteht sich ;-) und dass die erwachsenen-bevormundung unter dem deckmantel jugendschutz ein ende findet...na ja, die hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

ps: klasse blog übrigens, weiter so! bin leider erst vor ein paar tagen via outnow das 1.mal hier gelandet...und mit deinem filmgeschmack kann ich mich grösstenteils auch anfreunden, in sachen clint und western allemal.:-)

Jonas hat gesagt…

Dankeschön fürs Lob und ich freu mich natürlich über jeden Leser, dem ich etwas bieten kann! :-)