Regisseurin Kathryn Bigelow wagt sich mit The Hurt Locker, ihrem achten Spielfilm, einmal mehr auf ein Terrain, das praktisch ausschliesslich von Männern dominiert wird. Die 59-jährige Ex-Frau von James Cameron inszenierte nämlich einen Kriegsfilm, mit dem sie ihren Ruf als Action-Regisseurin weiter festigt.
Handlung:
Der Film zeigt eine Einheit des Kampfmittelräumdienstes (Explosive Ordnance Disposal (EOD)) der United States Army, die im Irak eingesetzt wird aus der Sicht von Sgt. James. Nach dem Tod des ursprünglichen Bombenentschärfers Sgt. Thompson (Funkname Blaster One) wird Sgt. James in diese Einheit versetzt und geht schon bei seinem ersten Einsatz dermassen große Risiken ein, dass er in den Konflikt mit seinen Kameraden Sgt. Sanborn und Specialist Eldridge gerät. Doch im Verlaufe der Wochen, bis die Kompanie abgelöst wird, erkennen sie, dass dies nur James' eigene Art ist, mit der ständigen Todesgefahr umzugehen.
(frei nach Wikipedia)
Es wäre jedoch falsch, von "The Hurt Locker" gewöhnliche, oberflächliche Action-Kost zu erwarten. Nicht ohne Grund wurde der Film in die offizielle Selektion der internationalen Filmfestspiele von Venedig aufgenommen und auch auf anderen Festivals gezeigt, denn was Frau Bigelow hier abliefert, ist ein durchaus mehrschichtiger Kriegsfilm, der unter die Haut geht.
"The Hurt Locker" steht und fällt - in diesem Fall steht - mit seinem Hauptdarsteller. Jeremy Renner war bislang kaum auf der grossen Leinwand zu sehen, er blieb wohl höchstens dank Nebenrollen in Jesse James oder 28 Weeks Later in Erinnerung. Hier spielt er die Hauptrolle und zeigt sein immenses Potential, indem er den Zuschauer ab der ersten Sekunde in den Bann zu schlagen vermag und "The Hurt Locker" zum eindringlichsten Portrait eines modernen Krieges der letzten Jahre macht. In erster Linie ist er einfach schon mal eine verdammt coole Sau, eine Ausgeburt übersteigerter Männlichkeit, ein Reinblut-Macho. Der Film bietet mehrere solche Figuren; Männer, für die der Krieg Alltag geworden ist und die daran geradezu Gefallen gefunden zu haben scheinen, verkörpert etwa in kleinen, aber feinen Nebenrollen von Guy Pearce oder Ralph Fiennes. Jeremy Renners Sgt. James ist die Summer dieser Alphatier-Soldaten, die tagtäglich zwischen bedrohlichen, staubigen Häuserfassaden ihren Hals riskieren für Ideale, die ihnen schon längst nichts mehr bedeuten. Er hat die Rolle des harten Kerls geradezu verinnerlicht und lässt keine Gelegenheit aus, um die Todesgefahr einer Situation mit einem zynischen Spruch zu parodieren.
Was nun den Film ausmacht, ist der Prozess, während dem diese harte Oberfläche langsam aufbricht und der Zuschauer zu erkennen beginnt, was darunter verborgen liegt. Während seinen 131 Minuten entfaltet sich "The Hurt Locker" zu einer Charakterstudie seines Protagonisten, stellvertretend für alle kriegsversessenen Männer dieser Welt, und hebt sich damit von all denen Kriegsfilmen ab, die nur von Explosionen und Schiessereien leben.
Der Film bietet zwar zahlreiche ruhige, in ihrer Stille grossartige und in ihrer Ehrlichkeit bezeichnende Momente, wie wenn Sgt. James etwa abends in seiner Baracke aus Langeweile seinen Schutzhelm anzieht, dennoch muss man zugeben, dass es nicht diese Szenen sind, die den Film schlussendlich ausmachen. Denn am Ende wartet man trotz allem heimlich doch auf die nächste Szene, wenn wieder die nächste Bombe entschärft werden muss. Und dazu hat man auch allen Grund. Schon zu Beginn gibt Bigelow knallhart den Tonfall durch, indem sie eine Bombe in elektrisierender Zeitlupe hochgehen lässt und den Zuschauer durch die Wucht der Detonation gnadenlos in den Sessel drückt. Die überaus direkte, unmittelbare und beinahe dokumentarisch anmutende Inszenierung mit ihrem sandigen, dreckigen Farbton ermöglicht es dem Zuschauer, sich näher denn je dem Geschehen im Irak zu fühlen. So treffen dann auch die Actionszenen mitten ins Schwarze. Reine Schiessereien gibt es angenehm wenige, auch Explosionen werden nur spärlich und gezielt eingesetzt, vielmehr spielt sich die eigentliche Spannung auf psychologischer Ebene ab, was aufgrund der starken Charakterzeichnung auch funktioniert. Dank effizient zusammenarbeitenden Schauspielern, Regie und Drehbuch steigert sich "The Hurt Locker" somit in seinen besten Momenten zu einem wahrlich nervenzerreissenden Kriegs-Thriller.
Manche mögen sich daran stören, dass Bigelows Film nicht in dem Masse anti-amerikanisch ist, wie es in Hollywood beim Thema Irakkrieg zum guten Ton gehört. Viel treffender wäre es jedoch zu sagen, dass der Film gar keine politische Partei ergreift, sondern die Situation konsequent aus der Sicht der amerikanischen Soldaten an der Front zeigt. Und diese kümmert nun mal einen Dreck, welcher Präsident den Krieg angefangen hat. Auch ist "The Hurt Locker" gar nicht so sehr ein Film gegen Krieg, sondern ein Film über Krieg. Bigelow hämmert uns keine ultimative pazifistische Botschaft in den Kopf, sondern versucht stets, eine gewisse Objektivität zu wahren und das Urteil dem Zuschauer zu überlassen. Es liegt ihr und Drehbuchautor Mark Boal (In the Valley of Elah) viel mehr am Herzen, dass der Zuschauer zu verstehen beginnt, warum manche Männer süchtig nach dem Krieg werden.
So bleibt Sgt. James zwar ein arroganter Macho, aber am Ende können wir immerhin nachvollziehen, wie es dazu kommen ist, und dass die eigentlichen Probleme viel tiefer wurzeln. Wir verstehen ansatzweise den Grund, warum er wie manche andere den Krieg dem gelangweilten bürgerlichen Alltagsleben vorzieht: Das Risiko. Das Gefühl, dass jetzt - genau in diesem Moment - alles zählt, dass man alles gewinnen und alles verlieren kann, dieser ultimative Kick, den es einem bereitet und nach dem man über längere Zeit sogar süchtig werden kann. Der Krieg ist eine Droge.
"The Hurt Locker" ist intelligentes Adrenalinkino, das mit einem grandiosen Hauptdarsteller die psychologischen Auswirkungen des modernen Krieges beleuchtet.
abgerundet ca. 8 von 10 Punkten
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