Dienstag, 10. August 2010

Das Schiff des Torjägers (Kino Review)



Das Schiff des Torjägers

Das Schiff des Torjägers wurde im Rahmen des 63. Filmestival Locarno gezeigt.

Inhalt:

1994/1995 wurde der Nigerianer Jonathan Akpoborie Torschützenkönig der deutschen Bundesliga. 2001, nun beim VfL Wolfsburg, nahm seine Karriere eine jähe Kehrtwendung, als er mit einem angeblichen Kindersklavenschiff, das vor der Küste des westafrikanischen Gabuns aufgegriffen worden war, in Verbindung gebracht wurde. Praktisch über Nacht wurde er vom Verband entlassen, auch wenn ihm bis heute keine Schuld nachgewiesen werden konnte.
Akpoborie hatte 1998 eine ehemalige dänische Inselfähre für seine Familie gekauft und nach seiner Mutter „Etireno“ getauft. Das Fährschiff verkehrte seither unter der Führung unter anderem seines Bruders zwischen Gabun und Benin. Es ist noch immer unklar, wer dafür verantwortlich ist, dass im April 2001 über 250 Kinder als billige Arbeitskräfte mit diesem Schiff transportiert wurden. Regisseurin Heidi Specogna hat drei Jahre lang recherchiert und Westafrika bereist, um mit Behörden, Hilfsorganisations-Mitarbeiter, den damals beteiligten Kindern und ihren Eltern über die Ereignisse vor neun Jahren zu sprechen.

Review:

An der Pressekonferenz zu Das Schiff des Torjägers in Locarno betonten die Filmemacher, was auch beim Sehen des Filmes sehr bald klar wird: Nämlich, dass es nicht die Absicht war, mit dem Film investigativen Journalismus zu betreiben und herauszufinden, war den nun Schuld war an der Katastrophe war. Vielmehr wird dem Zuschauer die Einsicht vermittelt, dass beide Seiten eine Mitschuld tragen und es bereuen. Einerseits Akpoborie, welcher seiner Familie blind vertraut und sich nicht um die Angelegenheit gekümmert hat, anderseits die Eltern der Kinder, welche in ihrer existenziellen Not ihre Kinder für Geld in ein anderes Land fortsandten.
So ist es eine der herausragenden Qualitäten von Specognas Film, dass er bestrebt ist, unparteiisch an das Thema heranzugehen und sämtliche Perspektiven zu berücksichtigen – vor allem aber diejenigen der Hauptbeteiligten, sprich der verschleppten Kinder. Es ist sicherlich eine journalistische Meisterleistung, dass mehrere der damals Beteiligten aufgefunden und ihr Vertrauen gewonnen werden konnte, sodass sie offen über dieses schwierige Thema erzählten. So erfahren wir aus erster Hand, welche Wirkung dieses Ereignis auf das Leben der Kinder, ihre Berufslaufbahn und ihr Verhältnis zu den Eltern hatte. Als Specogna die mittlerweile jungen Erwachsenen, die sich seit dem Ereignis auf er Fähre nicht mehr gesehen haben, dann auch noch in den Dialog treten lässt, enstehen berührende, aufwühlende Momente.

Der Film versteht sich – wie erwähnt – nicht als kriminologische Angelegenheit, sondern mehr als Reflexion über die unterschiedlichen Lebensweisen in Afrika und Europa im Zeitalter der Globalisierung. So wird die Schere zwischen arm und reich dem Zuschauer brutal vor Augen geführt, wenn man diese Familien davon erzählen hört, wie sie sich am Existenzminimum durchschlagen, und in der nächsten Einstellung Akpoborie mit einem Offroader zum Training vorfährt. Auch die Zerissenheit der afrikanischen Gesellschaft zwischen Modernität und Tradition wird geradezu spürbar gemacht, wenn etwa beim Antritt bei einer Stelle als Fotograf in einem Ritual die Fotokamera gesegnet wird. Solche Momente werden dann sowohl von der Kamera als auch von der Montage mit einem wachen Auge fürs Detail eingefangen.

Über all dem steht der Anspruch der Filmemacher, dem Geschehen ambivalent entgegenzutreten, um der Komplexität des Themas gerecht zu werden. Die durch Hilfsorganisationen verursache energische Berichterstattung zum „Sklavenschiff vor der Küste Westafrikas“ etwa war einerseits nötig, um die globale Aufmerksamkeit auf diesen Missstand zu lenken, anderseits wurde dadurch der Ruf Akpobories von heute auf morgen ruiniert. So repräsentiert auch die „Etireno“ für die einen die Erinnerung an Erniedrigung und Gefangenschaft, für die anderen bis heute Lebensgrundlage und Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Am Ende wird dezent die Frage gestellt, inwieweit bei Kinderhandel und Fussballnachwuchsförderung in Afrika parallele Vorgänge stattfinden – ist der Mensch nicht in beiden Fällen bloss eine Ware?

Das Schiff des Torjägers zementiert den Ruf der Schweiz als Lieferant hervorragender Dokumentarfilme.

ca. 9 von 10 Punkten

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