Freitag, 6. August 2010

Au fond des bois (Kino Review)



Au fond des bois

Au fond des bois wurde im Rahmen des 63. Filmfestival Locarno gezeigt.

Inhalt:

Frankreich 1865: Dr. Hughes, Dorfarzt und Vater von Josephine (Isild Le Besco), ahnt nichts Böses, als er dem schäbigen, taubstummen Vagabunden Timothee (Nahuel Pérez Biscayart) eine Unterkunft für die Nacht anbietet. Dieser steckt jedoch voller Überraschungen. Zuerst erweist er sich des Lesens und des Schreibens fähig, dann verblüfft er die Tischgemeinschaft mit seinen geradezu unheimlichen Zaubertricks. Auf die schöne, aber sehr reservierte Tochter des Hauses scheint er dabei ein besonderes Auge geworfen zu haben.
Am nächsten Tag ist der Vater ausser Haus, und man glaubt Timothee schon abgereist, doch da steht er plötzlich bei Josephine in der Küche. Nachdem er sie mit einer seltsamen Handbewegung wie in Trance versetzt hat, vergewaltigt er sie und zwingt sie anschliessend, mit ihm fortzugehen. Eine beklemmende Reise durch endlose Wälder beginnt, die für Josephine einen wahren Höllentrip darstellt. Schafft sie es, ihrem Peiniger mit den scheinbar übersinnlichen Kräften zu entkommen?

Review:

Auch der fünfte Spielfilm des französischen Regisseurs Benoît Jacquot dreht sich um das Thema Liebe - zumindest um die extremen Auswüchse davon. Daraus entwickelt sich ein Historienfilm, der sich jedoch nicht für opulente Schauplätze interessiert, sondern vor allem an Orten am Rande der Gesellschaft und in unidentifizierbaren Waldgegenden spielt. Den roten Faden stellt dabei nicht das Element des Krimis dar - die Polizei sieht man bis zum Schluss praktisch nie -, sondern die psychologische Dimension der Beziehung zwischen den Hauptpersonen. Jacquot lässt die beiden eine gegensätzliche, sich sozusagen überkreuzende Entwicklung durchmachen: Während Timothee im Verlauf der Reise eine zunehmend passive Rolle einnimmt und physisch verkümmert, beginnt Josephine in dieser Notsituation paradoxerweise geradezu aufzublühen. Dabei wird stets die Grenze zwischen einer psychologischen und übersinnlichen Macht, die Timothee über sie ausübt, verwischt, und es bleibt unklar, wo die Realität aufhört und die Magie anfängt.

Hier beginnen aber auch schon die Probleme, die da etwa wären, dass sich Jacquot nicht entscheiden konnte (oder wollte), wer die Hauptperson des Filmes ist. Anfangs wird zwar ganz klar Timothee als Protagonist etabliert, mit der Zeit übernimmt der Film jedoch immer mehr die Perspektive von Josephine. Beide Figuren bleiben dabei aber derart unscharf, dass es trotz schauspielerischen Körperseinsatzes schwer fällt, sich mit einem von beiden zu identifizieren. Josephine hat zwar den Bonus der Opferrolle, man weiss aber nie recht, ob sie jetzt aus ihrer Trance heraus handelt oder nicht - wechselt Darstellerin Isild Le Besco doch sprunghaft zwischen apathischer Ruhe und Overacting. Timothees Figur ist noch nebulöser, da über seine Motive und Hintergründe praktisch gar nichts verlautet wird.

Schlussendlich werden auch die zahlreichen Schauplätze nur aneinandergereiht statt durch einen Spannungsbogen verknüpft. Zwar wurden die Settings in stimmungsvolle, naturalistische Bilder eingefangen und einzelne in sich funktionierende Szenen sind durchaus vorhanden, es fehlt jedoch das gewisse Etwas, das ein Mitfiebern des Zuschauers ermöglicht hätte. Mindestens eine gewisse emotionale Beteiligung wäre jedoch zu erwarten gewesen, da es Jacquots Absicht gewesen zu sein scheint, Tabus zu brechen und unangenehme Fragen aufzuwerfen. Etwa, wer am Ende nun das Opfer ist: Josephine, die der (meta-) physischen Gewalt ihres Entführers unterworfen ist, oder Timothee, welcher geradezu süchtig nach der Schönheit des Mädchens scheint?

Solche Fragen werden jedoch auf wenig explosive Weise angegangen, und der Film wird trotz zahlreicher Vergewaltigungsszenen kaum jemanden aufrütteln. Es bleibt unklar, was er eigentlich sein will - Kammerspiel, Historiendrama, ein wenig Fantasy, Gesellschaftskritik oder einfach eine absurde Liebesgeschichte. Schlussendlich ist Au fond des bois so ziellos wie die Reise seiner Protagonisten.

ca. 5 von 10 Punkten


Dieses Review ist erschienen auf OutNow.

Keine Kommentare: